Zu viel Bürokratie, zu wenig gesunder Menschenverstand

Von Christoph Helm | Gepostet am 30.01.2024

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25. Frankfurter Tageslehrgang „Das neue EU-Bio-Recht“: Rechtsanwalt Hans-Peter Schmidt und Agrar-Expertin Dr. Manon Haccius machten die Probleme deutlich.

Die Grundlage der jährlich stattfindenden Veranstaltung „Das neue EU-Bio-Recht“ bildete in diesem Jahr die Feststellung einer zunehmenden Volatilität in der Bio-Zertifizierung. Gemeint ist damit eine steigende Unsicherheit bezüglich der Handhabung und Auslegung der Rechtsvorschriften. Es geht also um die Frage, wie ein Betrieb sicher sein kann, dass das, was er als Bio kauft und geliefert bekommt, nicht im Nachhinein aufgrund der Verletzung förmlicher Vorschriften seinen Bio-Status verliert.

Diese Unsicherheit wurde von den beiden Vortragenden durch anschauliche Fälle aus der Praxis dargelegt, beispielsweise durch den Fall einer Lieferung von Bio-Pflaumen aus Kalifornien nach Hamburg. Nachdem die Pflaumen mit dem Schiff einmal um die halbe Welt gereist waren, wurde die Lieferung am Zielhafen Hamburg von der zuständigen Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) nicht zur Verzollung als Bio freigegeben. Grund dafür war, dass das Schiff am 26.11.2022 abgelegt hat, die Kontrollbescheinigung aber bedingt durch den amerikanischen Feiertag Thanksgiving erst am 2.12.2022 ausgestellt wurde. Ein förmlicher Fehler, der die Integrität der Ware als Bio eigentlich nicht in Frage
stellen sollte – so zumindest die Meinung von RA Schmidt –, aber dazu führte, dass die Pflaumen wieder ihre Heimreise, nochmals einmal um die halbe Welt, antreten mussten.

Regelung zur Außer-Haus-Versorgung praxisfern

Die hohe Unsicherheit sei auch bedingt durch ein Zuviel an Bürokratie und ein Zuwenig an gesundem Menschenverstand im Vollzug der Vorschriften aus der EU-Bio-VO, kritisierten die Vortragenden. Als Beispiel dafür wurde die neue deutsche Regelung zur Außer-Haus-Versorgung genannt. Diese sei sehr praxisfern und in keinster Weise dazu geeignet, für mehr Bio in der Gastronomie zu sorgen – was ja eigentlich das Ziel sein sollte.

Statt dem Vorbild Dänemarks zu folgen und ein wenig bürokratisches System, das dort zu einem regelrechten Bio-Gastro-Boom geführt hat, zu etablieren, verrannte sich Deutschland in einer Überregulierung. So müssen Gastronom:innen hierzulande, wenn sie ihren Bio-Anteil ausweisen wollen,
eine täglich aktuelle Zutatenlisten für ihre Kundschaft bereithalten.
Statt auf einen Jahresdurchschnitt der Bio-Prozente zu setzen, unterliegen Gastronom:innen in Deutschland einer Meldepflicht, wenn sie in nur zwei aufeinander folgenden Monaten die Prozentsätze nicht erfüllen: in einer so saisonalen Branche wie der Gastronomie ein nahezu unmögliches Unterfangen.

Das Fazit von Schmidt: Das neue Logo mit den Bio-Prozenten in der Gastronomie wird höchstens von Kantinen großer Einrichtungen wie zum Beispiel Behörden zur Imagebildung Verwendung finden. Die „normale“ Gastronomie wird es nicht nutzen können. Insgesamt war der Tageslehrgang zum Bio-Recht wie jedes Jahr eine gelungene und informative Veranstaltung mit viel Einblick in den Sinn und Unsinn des EU-Bio-Rechts. Es bleibt zu hoffen, dass auch die verantwortlichen Stellen auf EU- und nationaler Ebene mehr vom geforderten „gesunden Menschenverstand“ an den Tag legen und die Volatilität in der Bio-
Zertifizierung wieder abnimmt.

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Christoph Helm

Christoph Helm ist Leiter der Biokreis-Qualitätssicherung.