Mercosur-Abkommen: Autos gegen Fleisch
Ludwig Essig ist Referent für Handelspolitik am Umweltinstitut München sowie Koordinator des Netzwerks gerechter Welthandel. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Freihandelsabkommen. Im Interview erklärt er, warum vom Mercosur-Abkommen hierzulande lediglich die Chemie- und Maschinenindustrie profitieren wird.
Herr Essig, Autos gegen Fleisch: Ist damit der Zweck des Mercosur-Abkommens auf den Punkt gebracht?
Ja, darum geht es tatsächlich im Wesentlichen. Das Abkommen wird seit mehr als 20 Jahren verhandelt, das heißt, die Inhalte wurden vor dem Pariser Klimaabkommen erarbeitet. Das Ergebnis ist völlig aus der Zeit gefallen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schreibt auf seiner Internetseite: „Das Abkommen ist (…) ein wichtiger Eckpfeiler für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es eröffnet deutschen und EU-Unternehmen die Möglichkeit, an der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung der Region verstärkt teilzuhaben. Vor allem innovative kleine und mittlere Unternehmen werden durch das Abkommen eine höhere Rechtssicherheit bei ihren unternehmerischen Aktivitäten erlangen.“ Das klingt doch gut…
Es ist enttäuschend, dass zwei grün geführte Ministerien, nämlich das Landwirtschafts- und das Wirtschaftsministerium, in dieser Weise dafür werben. Der ehemalige CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier befragte bei der Erarbeitung des Abkommens vor allem die Auto- und die Chemieindustrie. Diese beiden Zweige definierten letztendlich, welche Inhalte aufgenommen wurden. Mit Inkrafttreten sollen sämtliche Zölle auf Autos und Autoteile sowie auf Bio-Ethanol und Pestizide fallen. Die EU ist bereits jetzt zweitwichtigster Handelspartner der Mercosur-Staaten, doch dieses Abkommen wird die sozialen und ökologischen Krisen eskalieren lassen. Es wird keine Partnerschaft auf Augenhöhe werden.
Welche Bedrohung beinhaltet das Abkommen für unsere Landwirtschaft?
Bereits heute wird in der EU zu viel Fleisch produziert. Nun soll noch mehr Fleisch importiert werden, in erster Linie Edelteile von Rindern. Mit einem geschätzten Anteil von 30 bis 40 Prozent würden die Importe diesen Sektor massiv beeinflussen. Pestizide, die bei uns verboten sind, deren Export aber erlaubt ist, würden durch den Wegfall der Zölle vermehrt in Brasilien eingesetzt. Schon jetzt ist Brasilien der drittgrößte Pestizid-Verbraucher der Welt. Billige belastete Früchte würden unseren Markt überschwemmen. Bemerkenswert ist: Alle landwirtschaftlichen Verbände sehen das Abkommen kritisch, von der AbL bis zum Bauernverband.
Inwiefern ist die Ökolandwirtschaft betroffen?
Massiv. Denn vor allem der Druck auf kleinere Betriebe wird extrem steigen.
Zum Thema Klimaschutz. Spricht nicht schon der vermehrte transatlantische Transport gegen Klimaschutz? Sind Klimaschutz und Freihandel überhaupt kombinierbar?
Die Freihandelstheorie an sich widerspricht dem Klimaschutz, den wir aktuell brauchen. Mehr Warenaustausch bedeutet mehr Treibhausgase. Außerdem werden durch das Abkommen rund 5 Prozent mehr Amazonas-Regenwald abgeholzt – zum einen durch die Ausdehnung der Weidehaltung, zum anderen durch eine geplante Versechsfachung der EU-Quote für Bio-Ethanol, wofür auf deutlich mehr Fläche Zuckerrohr angebaut werden muss. Das Augenmerk müsste also auf der Frage liegen: Welche Güter werden wirklich gebraucht? Die Abschaffung der Zölle auf sämtliche genannten Produkte setzt hier völlig falsche Anreize. In der EU werden Verbrennermotoren verboten und nach Brasilien exportiert, wo sie weiterfahren dürfen. Die Doppelstandards der EU sind scheinheilig!
Es wird in diesem Zusammenhang auch viel über Menschenrechte gesprochen. Wie sieht es mit dem Aspekt der Fairness aus?
Menschenrechte sind im Abkommen nicht sanktionierbar verankert. Es geht nur um Zollerleichterungen und die Steigerung von Importquoten. In den Mercosur-Staaten würde es zu großen Arbeitsplatzverlusten kommen, allein 400.000 Jobs würden in der Automobil-Industrie verloren gehen. Außerdem würde es durch die Ausweitung von Monokulturen zur Vertreibung indigener Gemeinschaften kommen. Viele Millionen Menschen haben in diesen Staaten Probleme, sich zu ernähren, obwohl sie sich mit ihrer Landwirtschaft gut selbst versorgen könnten.
Wird das Abkommen besondere Auswirkungen auf Frauen haben?
Allein in der argentinischen Modeindustrie sind 50.000 Arbeitsplätze gefährdet, in der vor allem Frauen beschäftigt sind. Das hängt mit einer Senkung der Standards durch das Abkommen zusammen. Bisher gilt Kleidung für den Mercosur nur dann als „in der EU hergestellt“, wenn Produktion und Näharbeiten auch wirklich in der EU stattfinden. Durch EU-Mercosur soll nur noch die Näharbeit zählen, das heißt, ein großer Teil kann in China billig produziert werden. Kleidung kann somit in der EU preisgünstiger hergestellt werden als in Argentinien und dann zollfrei in den Mercosur eingeführt werden.
Wie wird das Abkommen von der Bevölkerung in den Mercosur-Staaten beurteilt?
Die dort ansässigen Umwelt- und Sozialverbände wissen Bescheid und lehnen es ab. In der Bevölkerung wird es jedoch kaum thematisiert und diskutiert.
Wie ist die geplante Zusatzerklärung zu bewerten?
Unzählige Rechtsgutachten kommen zu dem Schluss, dass ein solcher Beipackzettel völlig unwirksam wäre. Eine zusätzliche, unverbindliche Erklärung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser „Giftvertrag“ Konzerninteressen auf Kosten von Mensch und Natur dient. Die Zusatzerklärung ist nicht mehr als ein Greenwashing-Versuch!
Wie wahrscheinlich ist ein Inkrafttreten des Abkommens?
Vor allem in Bezug auf Klimaschutz-Anforderungen in der Zusatzerklärung, wie dem Schutz des Regenwaldes, sehen sich die Mercosur-Länder bevormundet. Eine Annäherung erscheint derzeit schwierig. Ziel ist eine Einigung im Dezember. Ob das passiert, steht in den Sternen. Die EU-Kommission will nun allerdings zu einem Trick greifen und versucht, das Abkommen aufzusplitten. Dann würde der schädliche Handelsteil ohne Mitbestimmung der Mitgliedsländer ratifiziert und der politische Teil, der zumindest Bezüge auf Umwelt- und Menschenrechte nimmt, müsste den langen Weg über die Parlamente nehmen. In Zeiten, in denen es unsere Demokratie wirklich nicht leicht hat, halte ich diesen
Plan der EU-Kommission für unverantwortlich!
Warum spricht sich die Mehrheit der Politik für das Mercosur-Abkommen aus?
Die Maschinen- und Chemieindustrie lobbyiert stark. Und in den lateinamerikanischen Staaten hat die Agrarlobby enormen Einfluss auf die Politik. Sie alle sind finanziell sehr gut ausgestattet.
Was würde eine Nicht-Ratifizierung bedeuten?
Wie schon erwähnt, findet bereits jetzt viel Handel und Austausch statt. Es wäre klüger, endlich einen Schlussstrich unter das Abkommen zu ziehen und neue Wege in der Partnerschaft und Zusammenarbeit zu gehen. Auf Augenhöhe.
Sollte das Abkommen ratifiziert werden: Wie kann ich mich als Verbraucher:in verhalten?
Ganz einfach: regional einkaufen.
Und was kann man jetzt noch tun?
Zum einen die Regierungen anschreiben, zum anderen aufklären. Damit bin ich gerade Tag und Nacht beschäftigt.
Das Mercosur-Abkommen:
Mercosur ist eine internationale Wirtschaftsorganisation in Lateinamerika. Der Name ist die abgekürzte Bezeichnung für den Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens). Mercosur und die Europäische Union unterzeichneten 1995 ein Assoziationsabkommen, das eine Vorstufe zur Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens darstellt. Die Verhandlungen über ein solches Freihandelsabkommen wurden dadurch erschwert, dass es „1 plus 4“-Verhandlungen waren: Verhandlungspartner der EU waren nicht der Mercosur, sondern die Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Die wechselnden argentinischen und brasilianischen Regierungen nahmen oft unvereinbare politische Positionen ein, sodass eine Verständigung innerhalb des Mercosur immer wieder mühsam wurde. Im Jahr 2004 befanden sich die Verhandlungen in fortgeschrittenem Stadium und es wurde mit dem Abschluss der Verhandlungen im Herbst 2004 gerechnet. Allerdings blieb der Zugang zum europäischen Markt für Agrar-Produkte aus den Mercosur-Ländern ein großer Streitpunkt.
Ende Juni 2019 wurde nach fast 20-jähriger Verhandlungsdauer eine grundsätzliche Einigung zum Handelsteil eines Abkommens erzielt. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit über 715 Millionen Einwohner:innen (EU 447 Millionen / MERCOSUR 270 Millionen) entstehen. Vertreter:innen deutscher Industrieverbände begrüßen das Abkommen, da sich mit ihm die Absatzmöglichkeiten der Unternehmen erhöhen. Der ausgehandelte Vertragsentwurf scheiterte jedoch Anfang 2020 an der Ablehnung Österreichs.
Derzeit wird über eine Zusatzerklärung zur Stärkung von Nachhaltigkeitsaspekten verhandelt. Nach einer Einigung und Abschluss der formaljuristischen Prüfung soll das Abkommen in die europäischen Amtssprachen übersetzt und dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden.
Quellen: Umweltinstitut München, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Wikipedia