Rinder “wie aus dem Ei gepellt”

Von Ronja Zöls-Biber | Gepostet am 29.08.2023

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Tierwohl spielt für den Biokreis eine wichtige Rolle – und auch für die Fleischqualität. Die jährliche Tierwohlkontrolle der Öko-Kontrollstelle zeigt, warum.

Lacon-Kontrolleur Hubert Duschl holt einen blauen Schutzanzug aus dem Kofferraum. Routiniert steigt er hinein, zieht den Reißverschluss hoch bis zum Kinn. Es nieselt – lieber die Kapuze gleich aufsetzen. Und beide Füße in die Plastiküberzieher. Mit ihnen wird es zwar auf dem nassen Untergrund etwas rutschig, aber sie sind absolut notwendig. Wir machen ihm alles nach. „Hier fängt Tierwohl an“, erklärt Julia Krauß, Tierwohl-Beauftragte im Biokreis. „Mist von einem anderen Stallboden am Schuh kann leicht Krankheiten übertragen.“ Schweine- und Geflügelhaltende seien bei diesem Thema viel mehr sensibilisiert als Rinderhaltende, doch auch hier seien die Schutzmaßnahmen unbedingt einzuhalten. „Es empfiehlt sich, Kittel und Stiefelüberzieher für Tierärzt:innen bereitzuhalten, falls diese selbst keine mitführen. Außerdem ist Schutzkleidung, die auf dem Hof bleibt, ökologischer als Einweg-Overalls“, rät Julia Krauß.

Bereit für den Stallbesuch. Wir treten ein in die gähnende Leere, denn im Sommer sind hier nur vereinzelt Tiere anzutreffen. Der Stier liegt in einer Liegebox, weiter hinten sind vier Kühe, die demnächst zum Schlachter gehen. Hubert Duschl verweilt hier trotzdem ein wenig. Er sieht sich an, ob gut eingestreut ist, wie sauber die wenigen Tiere sind, ob sie Gelegenheit zum Fressen und Trinken haben … Auch die drei leeren Pferdeboxen begutachtet er auf dem Weg nach draußen. Platzverhältnisse, Tränken, Verletzungsgefahren, Einstreu – nichts entgeht seinem Blick. „Kommen sie jeden Tag auf die Weide?“, fragt er.  – „Täglich, 365 Tage im Jahr“, bejaht Anton Höcker, der gemeinsam mit seiner Frau Helga und Sohn Tobias in Schönberg im Bayerischen Wald sein „Kinderparadies Höcker“ samt Mutterkuhhaltung betreibt. Wegen der touristischen Ausrichtung gibt es auch Schweine, Ziegen, Hühner und Gänse. Sie alle nimmt Hubert Duschl unter die Lupe. „Kommen die Gänse hinein und hinaus aus dem Becken?“

Bio-Tieren geht es besser

Doch sein Hauptaugenmerk gilt den rund 75 Limousin-Rindern auf der Weide. Mit den Füßlingen rutschen wir bei leichtem Regen fast schon den kleinen Hang zur Herde hinunter. Aufmerksam mustern uns die hellroten Kühe, manche kommen ein paar Meter an uns heran. Hubert Duschl untersucht sie konzentriert mit seinen Augen. Lahmheiten, Verschmutzungen oder Klauenprobleme kann er ausschließen. „Wie aus dem Ei gepellt“, sagt er und lächelt. Er lässt sich die Schattenelemente erklären, befindet die Erlen als genügend Schutz vor der Sonne und fragt nach den Tränken. Aus der Nähe sieht er schließlich noch, dass die Ohren einer Kuh ungewöhnlich aussehen. Die Ohrenmarken fehlen. „Sie war unsere erste und einzige Kuh, die die Ohrenmarken nicht vertragen hat“, erklärt Tobias Höcker. Beide Ohren eiterten, am Ende wurden die Marken entfernt.

Familie Höcker setzt auf Eigenkontrolle. Wasser, Strom, Tierzustand – diese Faktoren werden auf allen Weiden täglich überprüft. Hubert Duschl weiß, dass sich das lohnt. „Oft sagt der erste Eindruck alles“, gesteht er, „auch wenn natürlich trotzdem noch mal was schiefgehen kann.“ Die, die sich gut um das Tierwohl kümmern, seien meist nervöser als die anderen, denen die eigene Nachlässigkeit oft gar nicht bewusst sei. Hubert Duschl kontrolliert nicht nur Bio-Betriebe, sondern auch konventionelle. Er weiß: In Bio-Betrieben geht es Tieren im Allgemeinen besser. Die Tiergesundheit sei aufgrund des großzügigeren Platzangebots und der Weidehaltung stabiler, medizinische Versorgung seltener notwendig.

Tierwohl im Schlachtkörper messbar

Und der Einfluss auf das Fleisch? Helga Höcker betont den guten Faseraufbau, der aufgrund des langsamen Wachstums und des fortgeschrittenen Alters der Tiere entsteht. Doch darin sind sich alle einig: Die Schlachtung spielt am Ende eine bedeutende Rolle für die Fleischqualität. „Je weniger Stress, desto besser das Fleisch“, weiß auch Hubert Duschl. Die richtige Reifung bringe zusätzlichen Geschmack. „Fleisch darf nicht am Tag nach der Schlachtung in der Kühltheke liegen“, ist Helga Höcker überzeugt. Die Rinder der Höckers werden an Feneberg geliefert, ein kleiner Teil wird zum Eigenverbrauch in einer nahen EU-Bio-zertifizierten Metzgerei geschlachtet.

„Der Schlachtkörper selbst ist auch ein sehr guter Indikator dafür, wie das Tier gelebt hat und ob es gesundheitliche oder haltungsbedingte Einschränkungen hatte. Bei der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung können zum Beispiel Lungenbefunde beim Schwein darauf hindeuten, das die Qualität der Stallluft verbessert werden muss. Diese Daten sind nicht nur für die jährliche Tierwohlkontrolle wichtig, sondern auch ein unerlässliches Instrument für die betriebliche Eigenkontrolle“, erklärt Julia Krauß. 

Das Tierwohl im Biokreis-Betrieb Höcker bietet auf jeden Fall beste Voraussetzungen für gutes Fleisch. Das sieht auch der Kontrolleur so – und am Ende lässt die leichte Anspannung der Familie sichtbar nach. „Auch wenn man alles so gut wie möglich macht, ein bisschen Nervosität ist schon immer dabei, wenn die Kontrolle ansteht“, gesteht Anton Höcker.

Hintergrundinfo

Der AG Tierwohl gehören derzeit Bioland, Naturland, Biokreis und Gäa an. Auf den dazugehörigen Verbandsbetrieben werden die Tierwohl-Kontrollen mindestens einmal pro Jahr durchgeführt. Die Checklisten umfassen die folgenden Bereiche: Ernährungszustand, Pflegezustand, Tiergesundheit und Freiheit von Verletzungen und Technopathien, Zustand von Haltungsumwelt und Fütterung, Tierverluste und Schlachtbefunde. Bei Abweichungen gibt es Handlungskaskaden, die darauf abzielen, auf den betroffenen Betrieben notwendige Verbesserungen herbeizuführen. Falls keine Verbesserungen herbeigeführt werden, folgen Sanktionen. Diese können bis hin zur Kündigung des Betriebes reichen.

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Ronja Zöls-Biber

Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit / Redaktionsleitung BioNachrichten