Fleisch aus dem Reaktor

Von Gastautor:in | Gepostet am 29.08.2023

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„Clean meat“ wird kommen. Dr. Ramona Weinrich von der Universität Hohenheim erklärt, warum.

Viele Jahre wusste man, was einem beim Gang in ein Fast-Food-Restaurant erwartet: in den meisten Fällen Essen mit viel Fett, Salz, Zucker und konventionell erzeugtem Fleisch. Doch der Ernährungswandel zeigt sich vielerorts. In Österreich wird inzwischen an den Theken einer großen Burgerladen-Kette gefragt: „Normal, oder mit Fleisch?“ Und in Singapur gibt es noch mal eine ganze andere Variante: Chicken Nuggets aus kultiviertem Fleisch, umgerechnet 15 Euro pro Portion.

Seit vor zehn Jahren in London der erste Laborfleisch-Burger im Wert von 250.000 Euro serviert wurde, hat sich in Europa hinsichtlich der Marktfähigkeit von künstlich erzeugtem Fleisch nicht viel getan. Dabei ist die Verbraucherakzeptanz auch hierzulande erstaunlich hoch. 57 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, „cultured meat“ zu probieren für den Fall der Marktreife – „wenn die Produktion ohne Kälberserum auskommt“, betont Jun.-Prof. Dr. Ramona Weinrich von der Universität Hohenheim, die unter anderem zur Verbraucherakzeptanz von Laborfleisch forscht. Sie ist sich sicher: Laborfleisch wird kommen – und es wird ihrer Einschätzung nach auch keine zehn Jahre mehr dauern.

Derzeit wird das sogenannte „clean meat“ mittels „Tissue Engineering“ hergestellt. Dabei wird einem Tier zunächst Muskelgewebe entnommen, aus welchem Stammzellen gewonnen und mit einem Nährmedium, das für optimale Bedingungen sorgt, in einem Behälter (Bioreaktor) vermehrt. Dabei durchlaufen die Zellen verschiedene Stadien und entwickeln Muskeln. Über ein Trägergerüst, meist aus tierischem Kollagen, wachsen die Zellen zu sehr dünnen Fleischschichten, die in der Masse Hackfleisch ähneln (siehe Grafik). Das derzeit reale Produkt ist also weder vegan noch vegetarisch. Ein weiterer Knackpunkt: Bisher können jeweils nur kleine Mengen hergestellt werden. Eine Produktion in großer Menge, was die Kosten senken würde, ist noch nicht möglich.

Zielgruppe: Flexitarier

Sind die technologischen und ethischen Probleme erst einmal behoben, sieht Ramona Weinrich viel Potenzial in der Produktion von Fleisch aus dem Labor. Beim Ressourceneinsatz seien hinsichtlich Flächen, Wasser und Futtereinsatz Einsparungen möglich. Hauptzielgruppe der vielen Startups, die weltweit an der Erzeugung von Laborfleisch, aber auch künstlichem Fisch, Eiern und Milch arbeiten, seien zunächst einmal wenig und bewusst Fleisch konsumierende Flexitarier. Doch dann kommen auch ökonomische Faktoren ins Spiel. Mit zunehmender Produktion und Verbreitung werde das künstliche Fleisch günstiger im Preis und falle möglicherweise auch unter den Preis von echtem Fleisch. Dann werde zudem die Zielgruppe der preisbewussten Verbraucherschaft bedient.

Aber wo bleiben bei diesem Konzept der Bauer und die Bäuerin? „Sicher, die Patente werden woanders liegen, aber die Bio-Reaktoren könnten in die Ställe Einzug halten. Dort, wo vorher Tiere gehalten wurden, könnten Landwirt:innen künftig kultiviertes Fleisch erzeugen“, sagt Ramona Weinrich. „Berufsbilder wandeln sich. Vor 50 Jahren hätte man auch gesagt, dass auf dem Bauernhof keine Energie erzeugt wird, und doch haben wir heute auf den Betrieben Biogasanlagen.“

Laborfleisch – biologisch und konventionell?

Gutes Fleisch: ethisch, klimafreundlich, günstig – und auch lecker und gesund? „Die Zusammensetzung erfolgt so wie gewünscht“, erklärt Ramona Weinrich. Fett- und Nährstoffgehalt seien steuerbar und nachgefragte Stücke vermehrt herstellbar. „Wenn im Sommer gegrillt wird, kann Bio kaum die gefragten Schweinenackensteaks abdecken“, gibt sie zu bedenken. Ob es beim Laborfleisch dann aber die Unterscheidung zwischen Bio und Konventionell überhaupt gäbe, sei bisher unklar. Hierzu müssten lebensmittelrechtliche Fragen unter Einbezug der Novel Food- und der EU-Öko-Verordnung geklärt werden.

Risiken berge laut Ramona Weinrich die Zulassung von Laborfleisch vor allem in Ländern wie der Türkei, im Vorderen Orient und in Afrika. Hier könne das Zukunftsprodukt die Existenz von Kleinbauern und -bäuerinnen bedrohen und lokale Märkte negativ beeinflussen. Die Landwirtschaft sei in vielen Ländern noch kleiner skaliert als bei uns und kaum mit Kapital ausgestattet. Für Europa sieht die Expertin dagegen die Notwendigkeit, offener zu sein für Neues. Vor allem die Altersgruppe über 50 sei geprägt von einer starken Habitualisierung im Fleischkonsum. „Für viele gehört täglicher Fleischkonsum dazu“, so Ramona Weinrich und betont: „Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche wird für die Erzeugung von Futtermitteln verwendet.“ Die Variante übers Labor biete für dieses Problem Lösungen.

Gastautor:in

Dr. Ramona Weinrich

Universität Hohenheim