„Landwirtschaftsbetriebe müssen echte Unternehmen werden“

Von Ronja Zöls-Biber | Gepostet am 23.01.2025

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Die Ethik Society versteht sich als eine Plattform für Entscheider:innen aus Deutschland,
Österreich und der Schweiz, die sich über Fragen der Unternehmensethik und Nachhaltigkeit sowie deren Umsetzung austauschen möchten. Gründer ist der Unternehmer, Autor und Redner Jürgen Linsenmaier (63), der auch das Magazin „Wirtschaft & Ethik“ initiiert hat und als zertifizierter Gemeinwohl-Berater tätig ist. Im Interview spricht er über das 8-Punkte-Papier „Landwirtschaft und Ernährung“, das die Ethic Society Ende des Vorjahres publizierte.

Herr Linsenmaier, wie sind Sie selbst dazu gekommen, Wirtschaft aus einer ethischen Perspektive heraus zu betrachten?

Das ist eine interessante Frage. Ich habe mich mit 19 Jahren in meinem Kinderzimmer mit einem Verlag für Outdoor-Sportmagazine selbstständig gemacht und bin seither Unternehmer. Bei Geschäften war mir immer schon der Handschlag wichtig. Ich brauchte keine Verträge und bin damit immer gut gefahren. Vor gut fünf Jahren allerdings konnte sich ein Geschäftspartner plötzlich nicht mehr an ein gegebenes Wort erinnern. Das ehrbare Kaufmannstum ist mir jedoch so wichtig, dass ich Menschen zusammen bringen wollte, die für dieses stehen. Daher gründete ich die Ethic Society, in der sich heute Unternehmen aus allen Branchen und in allen Größen vereinen. Durch das breite Meinungsspektrum können wir über den Tellerrand schauen und aus dieser Perspektive heraus auch politische Positionen entwickeln.

Aus einer ethischen Sichtweise haben Sie auch die Landwirtschaft unter die Lupe genommen. Wie muss Landwirtschaft beschaffen sein, um das Gemeinwohl zu achten?

Sie muss natürlich nachhaltig sein. Eine wichtige Voraussetzung dafür: Landwirtschaftsbetriebe müssen echte Unternehmen werden. Außerdem darf es keine Subventionen für nicht nachhaltiges Wirtschaften geben. Ein neuer Qualitätsbegriff sollte einschließen, dass grundsätzlich weniger konsumiert und nicht mehr alles jederzeit gekauft werden kann. Diese drei Punkte haben bereits viel mit Gemeinwohl zu tun.

Zur ersten Forderung: Wie können Landwirt:innen zu echten Unternehmer:innen werden?

Es gibt grundsätzlich Firmen mit hoher und solche mit niedriger Eigenkapitalquote. Während der Corona-Zeit konnte man gut beobachten, welche Unternehmen über eine hohe Eigenkapitalquote verfügen, denn diese kamen nicht in Bedrängnis und konnten die Phase gut überbrücken. Landwirtschaft gehört genauso wie Hotellerie und Gastronomie zu den Unternehmen mit niedriger Eigenkapitalquote. Damit sich das ändert, müssen sie die Preise verlangen können, die sie verlangen müssen.

Dabei spielt natürlich der LEH eine entscheidende Rolle. Sie schreiben in Ihrem Positionspapier: „Der LEH muss die Bewegung anführen.“ Hier bin ich skeptisch, denn der LEH ist wie alle anderen Unternehmen Teil eines wachstums- und gewinnorientierten Wirtschaftssystems. Was sollte ihn dazu motivieren?

Die Gegenfrage lautet: Warum sollte der LEH nicht mit Nachhaltigkeit seinen Gewinn erwirtschaften? Große Einzelhandelsbetriebe treffen aktuell auf große Verarbeitungsbetriebe – und innerhalb dieser Akteure wird gehandelt. Doch es gibt auch alternative Beispiele. Ein großer Einzelhändler in Stuttgart hat zum Beispiel überwiegend hochwertige regionale und Bio-Produkte in sein Sortiment aufgenommen. Auf den Tomaten steht sogar, aus welcher Gärtnerei sie kommen. Die anderen Produkte sind zwar auch vorhanden, aber in sehr reduzierter Form. Mit seinem Konzept ist der Unternehmer erfolgreich. Man muss bedenken, dass vor allem die großen Firmen die Multiplikatoren sind. Wenn sie ihr Denken umdrehen, braucht sich die Verbraucherschaft nicht mehr entscheiden. Natürlich kaufen in diesem besonderen Supermarkt viele Gutverdienende ein, aber auch solche, die statt eines teuren Entrecôtes einen frischen qualitativ hochwertigen Salat aus der Region essen und nach dem neuen Qualitätsbegriff „weniger Konsum, mehr Leben“ handeln.

Das nennen Sie auch einen gemeinwohlorientierten Wohlstand. Wenn man aber Menschen mit Verzicht konfrontiert, ist ja oft sofort eine diffuse Angst spürbar …

Die Deutschen sind schnell in der Angst oder auch beim Prinzip, sich nichts verbieten lassen zu wollen. Daher ist die Änderung des Qualitätsbegriffs in der Tat ein schwieriger Prozess. Der Schlüssel liegt in der Etablierung eines neuen Lifestyles. In meiner Jugend war das Auto Ausdruck von Lifestyle, heute ist es vielleicht das Handy. An einer nachhaltigen neuen Kultur muss man Spaß und Freude haben.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Ich zum Beispiel habe mir vorgenommen, meine Lebensmittel zu 80 Prozent aus einem Umkreis von 50 Kilometern zu beziehen. Und beim Brot darf das Mehl nicht mehr als 100 Kilometer zurücklegen. Daraus kann sich ein unfassbarer Spaß entwickeln. Ich lerne Bauern und Bäuerinnen kennen, besuche Käsereien – und es schmeckt alles besser.

Sie fordern auch, nicht nachhaltige Subventionen zu beenden. Würde dann auf dem Sektor der Landwirtschaft nur noch die ökologische gefördert?

Im Endeffekt ja. Die Politik muss nicht nur intrinsisch die Rahmenbedingungen für einen neuen Lifestyle setzen, sondern auch fördertechnisch entsprechend agieren.

Eigentlich wissen sowohl Politik als auch Verbraucherschaft, in welche Richtung es gehen müsste. Auch Ihre Empfehlungen für die Landwirtschaft sind keine neuen. Doch leider sind aus beiden Sektoren keine Mehrheiten bereit, für das Gemeinwohl auch zu bezahlen. Ohne diese Bereitschaft bleiben wir aber in der Sackgasse …

Da haben Sie recht. Wir wissen alle, wie es geht. Doch einige Unternehmen kommen seit ein paar Jahren auch ins Tun. Firmen investieren jedes Jahr in irgendwelche Projekte. Wer hierbei aufs Gemeinwohl achtet, gibt das gleiche Geld aus – nur in eine andere Richtung. Genauso verhält es sich mit Förderungen. Wenn die Landwirtschaft statt Direktzahlungen Subventionen für nachhaltige Maßnahmen erhält, werden die Zahlungen nur umgeschichtet. Und wenn die Produkte eines nachhaltig wirtschaftenden Betriebs einen geringeren Mehrwertsteuersatz haben, wird dafür an anderer Stelle gespart, weil gemeinwohlorientiert gehandelt wurde. Ein Anreiz wäre auch, dass gemeinwohlorientierte Unternehmen weniger Kapitalertragsteuer zahlen müssten.

Hier könnte man Ihnen den Willen zur „Umerziehung“ vorwerfen …

Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und tue mich persönlich schwer mit Verboten. Aber ich halte eine Umerziehung für gut, wenn Menschen begreifen, dass sie nicht drei Mal im Jahr übers Wochenende nach Malle zum Party machen fliegen sollten. Lifestyle kann auch sein, gemeinsam Bäume zu pflanzen und sich nach getaner Arbeit auf ein Bier zusammen zu setzen.

Um ein alternatives System in der Landwirtschaft zu etablieren, haben sich vor einigen Jahrzehnten einige Pionier:innen zusammengeschlossen zu Verbänden wie dem Biokreis. Das Ergebnis ist, dass es unterschiedliche Labels und Siegel gibt. Sie kritisieren das …

Es gibt ganz klar zu viele Siegel. Als Konsument kann ich da kaum mehr durchblicken. Es scheint als hätte jeder Landwirtschaftsminister neue Siegel auf den Markt gebracht. Dazu kommen noch etliche private Labels. Mir wäre es am liebsten, wenn Produkte mit einem Ampelsystem gekennzeichnet würden – und ich kaufe Grün.

Wir stehen kurz vor Neuwahlen. Was für eine Politik ist jetzt gefragt?

Ich persönlich würde eine Zweier-Koalition bevorzugen, bei der sich Kompetenzen in Wirtschaft und Nachhaltigkeit ergänzen. Ich halte es für falsch, eine solche Zusammensetzung im Vorhinein auszuschließen. Ich persönlich würde eine Zweier-Koalition bevorzugen, bei der sich Kompetenzen in Wirtschaft und Nachhaltigkeit ergänzen. Ich halte es für falsch, eine solche Zusammensetzung im Vorhinein auszuschließen.

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Ronja Zöls-Biber

Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit / Redaktionsleitung BioNachrichten