„Gewinn darf nicht zu Lasten des Gemeinwohls gehen“

Johannes Ehrnsperger, Neumarkter Lammsbräu; Bild: Neumarkter Lammsbräu
Bei der Neumarkter Lammsbräu Gebr. Ehrnsperger KG aus Neumarkt in der Oberpfalz wird Gemeinwohl groß geschrieben. Inhaber Johannes Ehrnsperger erklärt im Interview Hintergründe, Maßnahmen und die Einbindung von Landwirtschaft, Belegschaft und Verbraucherschaft.
Gemeinwohl ist nicht in jedem Unternehmen ein so zentrales Thema wie bei der Neumarkter Lammsbräu. Warum fühlen Sie sich dem Gemeinwohl verpflichtet?
Unser Anliegen ist es, einen Beitrag zu einer enkeltauglichen Welt zu leisten. Hierfür braucht es eine intakte Natur und ein gutes Miteinander anstatt der Maximierung allein des eigenen
Nutzens. Erfolg muss anders definiert werden als nur über wirtschaftliche Größen.
Sie erstellen selbst eine Gemeinwohl-Bilanz. Welcher Aufwand ist damit verbunden?
Wir haben vor drei Jahren zum ersten Mal bilanziert und werden dies in einem Drei-Jahres-Turnus fortführen. Dazu gehört es einerseits, einen Bericht über das bereits Erreichte zu schreiben, was uns nicht schwer fällt, da wir seit 30 Jahren Nachhaltigkeitsberichte erstellen. Andererseits ist das Ziel, sich stetig weiterzuentwickeln und Gemeinwohl-Denken bei allen Tätigkeiten und im ganzen Team zu verankern und Wissen dazu zu vermitteln. Natürlich stellen wir uns dabei auch die Fragen: Wo können wir zusätzlich ansetzen? Was hatten wir bisher noch nicht auf dem Schirm, und wo sind wir noch nicht perfekt? So beschäftigen wir uns nun mit nachhaltigeren Geldanlagen, anstatt uns wie bisher hauptsächlich auf regionale Hausbanken zu fokussieren. Außerdem möchten wir künftig der Belegschaft noch mehr Mitwirkungsmöglichkeiten bieten.
Auch Neumarkter Lammsbräu wirtschaftet in einem ökonomischen System, das in erster Linie auf Wachstum ausgerichtet ist. Wie verhalten sich die beiden Pole Gemeinwohl und Wachstum zueinander?
Ohne ein gewisses Wachstum geht es nicht. Das ist auch in der Natur so. Wachstum und Gewinn sind nicht per se als „böse“ zu sehen, denn jedes Bio-Produkt mehr steht für ein Mehr an ökologischem Landbau, und auf den Gewinn entrichtete Steuern dienen auch dem Gemeinwohl. Aber klar ist für uns auch: Wachstum und Gewinn dürfen nicht zu Lasten des Gemeinwohls gehen! Das ist gewissermaßen der Rahmen, den wir uns selbst setzen.
Haben Bio-Unternehmen Ihrer Meinung nach eine besondere soziale Verantwortung?
Jedes Unternehmen ist gleichermaßen in der Verantwortung und hat dieselben Hebel zur Verfügung. Mit Macht geht immer Verantwortung einher. Wir Bio-Unternehmer:innen sind nur stärker im Rampenlicht – und vor diesem dürfen wir uns nicht wegducken.
Sie machen Gemeinwohlleistungen von Landwirt:innen nicht nur sichtbar, sondern entlohnen sie auch. Wie sieht diese Entlohnung konkret aus?
Unsere Partnerschaften, die zum Teil seit 40 Jahren bestehen, sind mit langfristigen Verträgen ausgestattet. Die Landwirt:innen erhalten sehr gute Preise, die im Schnitt 20 Prozent höher liegen als der durchschnittliche Marktpreis für Braugerste – und das unabhängig davon, wie gemeinwohlorientiert sie wirtschafteten. Daher habe ich ergänzend dazu nach einem System gesucht, das Gemeinwohlleistungen in den Fokus stellt, den individuellen Einsatz dafür entlohnt und noch dazu Anreize schafft. Das praxisorientierte Regionalwert-Tool bietet hierfür eine gute Lösung. Ein Prozent unseres Umsatzes, etwa 300.000 Euro im Jahr, fließt in einen Nachhaltigkeitsbudget-Topf, der unter den Landwirt:innen aufgeteilt wird – und zwar individuell danach, wie nachhaltig wer im Vergleich zu den anderen in punkto Ökologie, Soziales und Regionalökonomie wirtschaftet. Dadurch ist es möglich, bis zu 30 Prozent mehr einzunehmen. Wir sprechen hier von finanziell durchaus relevanten Größen, welche nicht an Liefermengen, sondern an den Betrieb gebunden sind. Das bedeutet auch, dass ein kleiner Betrieb stark profitiert und fast so viel Prämie wie Entlohnung für das Getreide erhalten kann. In unserem neuen Fünfjahres-Rahmenvertrag ist die Leistungsrechnung mit Gemeinwohl-Prämie verankert und für alle verpflichtend umzusetzen. Da der Topf mit einem Prozent des Umsatzes gefüllt wird, wird auch die Verbraucherschaft mit in die „Wertschätzungskette“ geholt. Konkret: Mit jeder Flasche Lammsbräu fördert man die Gemeinwohlleistungen der Bäuerinnen und Bauern.

Gemeinwohlorientiertes Handeln schlägt sich auch im Umgang mit dem Team nieder. Relativ neu sind die Eco-Punkte für die Mitarbeitenden …
Das ist ein schönes Projekt, mit dem wir zeigen, dass wirklich jedes Team-Mitglied einen Beitrag leisten kann. Wer mit dem Zug in den Urlaub fährt, wer zu Hause eine PV-Anlage installiert, wer sich ehrenamtlich engagiert, sammelt Punkte. Diese stellen am Ende einen Geldbetrag dar, der einem Verein oder einer Organisation, welche das Team-Mitglied bestimmt, gespendet wird. Die Beteiligungsquote lag dieses Jahr bei 30 Prozent, aber wir wollen weiter kräftig die Werbetrommel dafür rühren.
A propos Werbetrommel: Sie sind sehr professionell in der Kommunikation über Gemeinwohlleistungen aufgestellt. Sollten Öko-Betriebe generell mehr über ihre Gemeinwohlleistungen sprechen?
Entscheidend ist, wie man darüber spricht. Wir aus der Bio- Branche neigen dazu, zu viel zu erklären und zu komplex zu werden. Ganzheitlichkeit ist eben schwer vermittelbar. Wir sollten auf einer ersten Ebene das Herz und das gute Gefühl ansprechen, erst auf der zweiten Ebene die Beweise antreten. Wie schätzen Sie die Chance ein, dass es in der Wirtschaft eine Entwicklung in Richtung Gemeinwohl geben kann? Derzeit erscheint die Situation ernüchternd und Nachhaltigkeit keine zentrale Rolle zu spielen. Das sollte umso mehr Antrieb für uns sein. Langfristig gesehen werden wir bezüglich der Klimakrise, des Artensterbens und der Art, wie wir miteinander wirtschaften, nicht mehr darum herumkommen, etwas zu ändern und neue Lösungswege für die Zukunft zu finden.
Wie schätzen Sie die Chance ein, dass es in der Wirtschaft eine Entwicklung in Richtung Gemeinwohl geben kann?
Derzeit erscheint die Situation ernüchternd und Nachhaltigkeit keine zentrale Rolle zu spielen. Das sollte umso mehr Antrieb für uns sein. Langfristig gesehen werden wir bezüglich der Klimakrise, des Artensterbens und der Art, wie wir miteinander wirtschaften, nicht mehr darum herumkommen, etwas zu ändern und neue Lösungswege für die Zukunft zu finden.