Biologischer Gemüsebau in Deutschland: Zwischen Tradition, Vielfalt und Zukunft

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Der biologische Gemüsebau in Deutschland ist mehr als nur ein landwirtschaftlicher Produktionszweig. Er steht sinnbildlich für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, Regionalität und Verantwortung gegenüber Mensch und Natur. Seine historischen Wurzeln reichen übrigens bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück. Bereits im Jahr 1946 gründete
Dr. Hans Müller in der Schweiz die „Anbau- und Verwertungsgenossenschaft“, deren Produkte unter dem Namen „Bio-Gemüse AVG“ vermarktet wurden. Im Jahr 1971 wurde in Süddeutschland der Verein „bio-gemüse e.V.“ ins Leben gerufen. Aus diesem ging später die „Fördergemeinschaft organisch-biologischer Landbau e. V.“ hervor, die schließlich im heutigen Bioland e. V. mündete – einem der mittlerweile größten Bio-Verbände Deutschlands. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie aus kleinen, idealistischen Anfängen eine strukturierte und professionelle Bewegung entstanden ist, die heute die Standards des ökologischen Landbaus mitgestaltet.
Vielfalt als Fundament des Bio-Gemüsebaus
Betrachtet man den biologischen Gemüsebau, darf man nicht vergessen, wie groß die Vielfalt im Gemüsebau ist. Diese spiegelt sich in mehreren Bereichen wider. Regionale Unterschiede spielen dabei eine große Rolle: Während in Norddeutschland eher sandige Böden vorherrschen, sind es im Süden die schweren Böden, die andere Anbaubedingungen mit sich bringen. Die Betriebsgrößen und -strukturen variieren bei Gemüse anbauenden Betrieben sehr stark. Es gibt kleine Familienbetriebe mit wenigen hundert Quadratmetern Anbaufläche ebenso wie Großbetriebe mit mehreren hundert Hektar. Die Organisationsformen reichen von Einzelunternehmen über Genossenschaften bis hin zu Großkonzernstrukturen.
Der biologische Gemüseanbau braucht gezielte Unterstützung.
Forschung und Innovation sind notwendig.
Ebenso vielfältig sind die Vermarktungswege. Bio-Gemüse gelangt zum einen über Wochenmärkte, Hofläden, Abokisten, Solidarische Landwirtschaft (Solawi) und Naturkostläden zu den Verbraucher:innen, und auch, und in den letzten Jahren stark zunehmend, über den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Discounter. Die Anzahl der angebauten Gemüsekulturen je Betrieb ist divers, von ein bis zwei Kulturen im Feldgemüsebau bis zu über 60 Kulturen im gärtnerischen Bereich. Diese Vielfalt ist eine große Stärke und ein Werbeschild des Bio-Gemüsebaus, denn in keinem anderen Bereich gibt es so viele Kulturen und Sorten. Gleichzeitig bringt diese Vielfalt auch unzählige Herausforderungen mit sich, insbesondere im Bereich der Vermarktung.
Wachstum mit Einschränkungen
Obwohl die Gesamtfläche des ökologischen Gemüsebaus in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat, betrifft dieses Wachstum vor allem Kulturen, die sich gut im Feldgemüsebau mechanisieren lassen. Zur gleichen Zeit ist die Zahl der Betriebe, die Bio-Gemüse anbauen, seit Jahren rückläufig. Der ökologische Gemüsebaubetrieb gilt zwar traditionell als Aushängeschild des ökologischen Landbaus, doch die romantisierte Darstellung des Bauernhofs steht zunehmend im Widerspruch zur Realität.
In der Praxis wird ein Großteil des Bio-Gemüses über Discounter und den Lebensmitteleinzelhandel verkauft, Tendenz steigend. Kleinere Betriebe haben es dadurch immer schwerer, ihre Produkte erfolgreich zu vermarkten. Zwar gibt es zahlreiche Ideen für alternative Absatzkanäle – etwa die Belieferung von Restaurants, Kitas oder Schulen – doch deren Umsetzung erfordert oft deutlich mehr Kommunikation und Aufwand als andere Vertriebswege. Die Direktvermarktung funktioniert in vielen Fällen gut, stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn Verbraucher:innen ihren gesamten Einkauf bequem an nur einer Verkaufsstelle erledigen möchten. Der Aufwand für Werbung, Anzeigen und die Pflege von Social-Media-Kanälen ist hoch, und nicht jede:r Gemüseanbauende fühlt sich in der Rolle des YouTubers wohl, oder ist mit moderner Technik vertraut.
Gemüsekulturen, die wirtschaftlich wenig lukrativ sind, entwickeln sich zunehmend zu Nischenprodukten. Im Gegensatz dazu gewinnen großflächig anbaubare Kulturen wie Möhren, Zwiebeln, Rote Bete u. a., bei denen ein hoher Technikeinsatz möglich ist, weiter an Bedeutung.
Ökologische und politische Herausforderungen
Die Auswirkungen der Wetterveränderungen sind im Gemüsebau besonders deutlich spürbar. Längere Dürreperioden erhöhen den Bewässerungsbedarf und treiben die Kosten für Technik und Wasserrechte in die Höhe. In einigen Landkreisen Deutschlands gelten bereits tagsüber Bewässerungsverbote. Gleichzeitig führen Starkregen und Überschwemmungen zu Bodenerosion, Strukturverlusten und Ernteausfällen – insbesondere in Regionen mit Hanglagen, oder wenig durchlässigen Böden. Trockene, warme Wetterperioden begünstigen zudem die Ausbreitung invasiver Schädlinge.
Neben den ökologischen Herausforderungen sieht sich der Bio-Gemüsebau auch mit politischen und wirtschaftlichen Veränderungen konfrontiert. Die geplante Deregulierung der Gentechnik sorgt für Unsicherheit und Kritik innerhalb der Branche. Durch gesetzliche Vorgaben wie die Forderung nach torffreien Sub-straten, die Verfügbarkeit von biologischen Pflanzenschutzmitteln und von Biosaatgut gerät die Branche zunehmend unter Druck. Hinzu kommen der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, ungelöste Fragen der Hofnachfolge sowie hohe Produktionskosten durch Mindestlöhne, Energiepreise, Bürokratie, und notwendige Investitionen in Technik und Nachhaltigkeit. Während große Betriebe zunehmend auf Digitalisierung, Robotik und Künstliche Intelligenz setzen, fehlt kleineren Betrieben häufig der Zugang zu diesen Technologien.
Strukturwandel und Zukunftsperspektiven
Der Gemüseanbau in Deutschland befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Viele Betriebe müssen sich auf wenige Kulturen oder bestimmte Vermarktungsformen spezialisieren. Viele müssen wachsen, oder bei fehlender Hofnachfolge schließen.
Um langfristig zukunftsfähig zu bleiben, braucht der biologische Gemüseanbau gezielte Unterstützung. Forschung und Innovation sind notwendig – u. a. in den Bereichen Sortenentwicklung, Bodenfruchtbarkeit, Pflanzenschutz und digitale Technik. Vor allem aber müssen politische Rahmenbedingungen verlässlich gestaltet werden, um faire Marktbedingungen zu schaffen und Verzerrungen zu vermeiden. Nicht zuletzt ist auch die Gesellschaft gefragt: Denn Verbraucher:innen, Bildungseinrichtungen und Medien können durch bewusste Entscheidungen, Aufklärung und Engagement einen wichtigen Beitrag zur Stärkung und Erhaltung des Bio-Gemüseanbaus leisten.
Mehr Informationen gibt es u. a. in der Analyse zum Gemüsebau vom WirGarten in Lüneburg.
www.wirgarten.com/heimischer-gemuesebau-in-der-krise-analyse-loesungsidee/)
Die Autorin Nadine Liebig ist Beraterin für den Gemüseanbau bei Bioland.