“Eine Erfolgsstrategie: Arbeit und Liebe trennen”

Von Ronja Zöls-Biber | Gepostet am 31.01.2024

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Janna Luisa Pieper hat an der ersten gesamtdeutschen Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft, durchgeführt von Georg-August-Universität Göttingen, Thünen-Institut Braunschweig und Deutscher LandFrauenverband e.V., mitgearbeitet. Über drei Jahre hinweg wurden Landwirtinnen hinsichtlich ihrer Lebensentwürfe, Wünsche und Sorgen befragt. Im Interview erklärt Janna Luisa Pieper, welchen besonderen Risiken sie ausgesetzt sind…

Janna Luisa Pieper

Frau Pieper, wie geht es den Frauen in der Landwirtschaft in Deutschland denn aktuell?
Unsere Studie zeigt ein alarmierendes Ergebnis, was die mentale Gesundheit von Frauen in der Landwirtschaft betrifft: 21 Prozent der von uns befragten Frauen drohen an Burn-out zu erkranken. Natürlich muss man hinzufügen, dass nichtsdestotrotz viele Frauen mit Freude auf ihren Betrieben wirtschaften. Alle eint, dass sie die Lebensqualität, die sich aus der Natur und dem Kontakt mit den Tieren ergibt, schätzen.

Warum ist Burn-out bei so vielen Studienteilnehmerinnen ein Thema?
Durch die besondere Situation in der Landwirtschaft gibt es meistens keine räumliche Trennung von Arbeits- und Privatleben, so dass beides ineinander verschwimmt. Viele kümmern sich um Kinder, Haushalt, Mitarbeiter:innen und das landwirtschaftliche Büro. Hinzu kommen praktische Tätigkeiten in der Landwirtschaft, bei Erwerbskombinationen, die es ja auch im Bio-Bereich sehr häufig gibt, bei der Weiterverarbeitung von Erzeugnissen, bei Hofläden und erlebnispädagogischen Angeboten. Einerseits ist die Rollenvielfalt für Frauen toll, andererseits der Grund für eine große Überlastung. Dabei muss man
wissen, dass nur 11 Prozent der Frauen auch Betriebsleiterinnen sind.

Was ergeben sich daraus für Besitz- und Vermögensverhältnisse?
Viele mitarbeitende Ehefrauen und Partnerinnen befinden sich in einer prekären Situation. Wenn sie sich nicht selbst privat absichern, findet die Absicherung nur über den Hof statt. Wer dann über keinen fairen Ehevertrag verfügt, hat im Falle von Scheidung oder Tod der Betriebsleitung oftmals große Probleme. Vielen Frauen ist nicht bewusst, dass auch die Altersvorsorge nur über den Partner oder die Partnerin geregelt ist. Hier herrscht leider großes Unwissen. Wir haben festgestellt, dass Scheidung und Tod in vielen Familien absolute Tabuthemen sind. Vor allem Frauen, die eingeheiratet haben, befinden sich in einer schwierigen Situation, um diesbezüglich etwas auszuhandeln. Viele Frauen sagten uns: „Scheidung kommt nicht in Frage. Wir lieben uns.“ Doch ich konnte auch mit einer Frau sprechen, deren Mann sich aus heiterem Himmel trennte und zwei Monate weg war. Seine Frau war plötzlich mit zwei kleinen Kindern allein auf einem Hof, von dem ihr nichts gehörte. Meine Forschung hat aber auch eine Erfolgsstrategie von Frauen ergeben, mit Hilfe derer sie sich unabhängig machen. Ihre Strategie ist: Arbeit und Liebe trennen. Diese Frauen zähle ich zum Typus „innovative Ermöglicherinnen“. Sie setzen die Priorität darauf, ihre Unabhängigkeit zu erhalten, oder wie eine Interviewpartnerin sagte „ein Mann ist keine Altersvorsorge“.

Wir haben einen Zustrom von Frauen, die aus einer ökologischen und politischen Motivation heraus den Beruf der Landwirtin wählen. Diese Frauen identifizieren sich mit dem ökologischen Gedanken und finden innovative Konzepte, auch hinsichtlich Finanzierung und Vermarktung.

Janna Luisa Pieper

Frauen verrichten auf Höfen viel unsichtbare und unbezahlte Arbeit. Stört die Frauen das?
Durch meine Forschung habe ich den Eindruck, dass vor allem die Unsichtbarkeit der Sorgearbeit viele Frauen sehr stört. Wenn von außen etwa die Aussage kommt „Du kannst doch das Ehrenamt übernehmen. Du bist doch eh zu Hause“, werden die Arbeit im Haushalt, die Sorge- und Pflegetätigkeiten nicht anerkannt. Doch auch innerhalb der Familie werden essenzielle Aufgaben wie Haushalt, Kindererziehung, Mitarbeiter:innenbetreuung oder Buchführung oft nicht gesehen. Das Problem der fehlenden Entlohnung betrifft wieder vor allem die Partnerinnen und Ehefrauen. Viele von ihnen geben an, kein Problem damit zu haben, keinen eigenen Lohn gezahlt zu bekommen, da sie ohnehin auf ein gemeinsames Konto zugreifen könnten. Doch wer kein eigenes Konto und Geld hat, ist in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Das heißt, dass es schon allein eine finanzielle Hürde darstellt, sich zu trennen.

Weitere Risiken für Frauen bestehen hinsichtlich ihrer Gesundheit. Welche sind hier zu nennen?
Das ist ein Ergebnis, das mich mit am meisten überrascht hat. Es gibt kaum Aufklärung über frauenspezifische gesundheitliche Risiken. Dabei hantieren Frauen in der Landwirtschaft häufig mit Hormonpräparaten und Medikamenten, die sowohl Einfluss auf die Fruchtbarkeit als auch auf Schwangerschaften haben können. Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten, spielen hier ebenfalls eine Rolle. Eine befragte Frau hat sich beispielsweise bei einer Kuh angesteckt und eine Gebärmutterentzündung davongetragen, die zur Unfruchtbarkeit führte. Viele Frauen berichteten, dass auch der Mutterschutz auf den Betrieben schwer umzusetzen sei. Wenn eine Woche nach einer Geburt wieder angefangen wird zu melken, kann das schwere Spätfolgen haben. Auch schwangere Frauen sind im Umgang mit Tieren großen Gefahren ausgesetzt. Dass Frauen so wenig geschützt sind, darf so nicht weitergehen!

Eine der größten Barrieren für Frauen in der Landwirtschaft ist die geschlechtsspezifische Erziehung der Kinder auf den Höfen und somit der Erhalt traditioneller Rollenbilder.

Janna Luisa Pieper

Unsere Landwirtinnen arbeiten auf Öko-Betrieben. Gibt es hier Besonderheiten?
Ja, die gibt es tatsächlich. Wir haben hier einen Zustrom von Frauen, die aus einer ökologischen und politischen Motivation heraus den Beruf der Landwirtin wählen. Manche gehen sogar den bisher schwierigen Weg der Existenzgründung eines landwirtschaftlichen Betriebs. Dabei sind es meist ökologische Betriebe, die von Frauen neu gegründet werden. Diese Frauen identifizieren sich mit dem ökologischen Gedanken und finden innovative Konzepte, auch hinsichtlich Finanzierung und Vermarktung. Die befragten Existenzgründerinnen nehmen viel auf sich, um selbst Landwirtschaft zu betreiben: Einige von ihnen gründeten ihre Betriebe aus Hartz IV heraus, durch Privatdarlehen oder mittels Crowdfunding. Viele der befragten Frauen stoßen auf ihren Betrieben Innovationen an: Sei es die Umstellung auf ökologischen Landbau, die Gründung eines neuen Betriebszweigs oder unkonventionelle Vermarktungskonzepte.

Besteht Hoffnung, dass sich die Situation von Frauen in der Landwirtschaft verbessert?
Das ist schwer abzuschätzen. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre ist die Zahl der Betriebsleiterinnen nur um zwei Prozentpunkte gestiegen. Und auch wenn laut Agrarstatistik der Anteil der künftigen Hofnachfolgerinnen 18 Prozent beträgt, ist diese Zahl mit Vorsicht zu genießen, da nur ein Teil der Einzelunternehmen befragt wurde. Wenn ich auf die Studienergebnisse schaue, sehe ich große Beharrungskräfte. Eine der größten Barrieren für Frauen in der Landwirtschaft ist die geschlechtsspezifische Erziehung der Kinder auf den Höfen und somit der Erhalt traditioneller Rollenbilder. Noch immer ist es zumeist Aufgabe der Töchter, im Haushalt zu helfen oder die Kälber zu versorgen, wohingegen den Söhnen eher das Bedienen von Maschinen und Treckerfahren beigebracht werden. Das heißt für die Töchter auf den Höfen, dass sie den Vorsprung ihrer Brüder bei den landwirtschaftlichen Tätigkeiten erst einmal aufholen müssen. Es braucht eine Debatte darüber, wie verinnerlicht die Geschlechterstereotype in der Landwirtschaft sind und welche Konsequenzen sie auch für die Machtverhältnisse auf den Höfen haben, erst dann wird sich ein Wandel vollziehen können.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Studie auch etwas anstoßen konnten?
Die Studie kann nur der erste Stein sein, der etwas ins Rollen bringt. Wir haben mit den von uns erhobenen Daten die Grundlage für eine Diskussion über die Geschlechterverhältnisse in der Landwirtschaft gelegt, über Licht- und Schattenseiten aufgeklärt und die Berichterstattung angekurbelt. Nun liegt es in der Hand von Politik und Interessensverbänden, nachhaltige Änderungen zu bewirken.

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Ronja Zöls-Biber

Redaktionsleitung BioNachrichten / Mitarbeiterin beim Biokreis e.V.