Allergie“freie“ Äpfel

Apfelernte beim Biokreis
Forschung contra alte Sorten – ein Siegel fürs Marketing.
Es soll ein Coup werden, zumindest ein Marketing-Coup. Im Herbst kommen die ersten Äpfel auf den Markt, ein für Obst neues Siegel tragen. Das Siegel „allergiefreundlicher Apfel“. Ein Siegel, das die „Europäische Stiftung für Allergieforschung“ (ECARF) vergibt. Was aber nicht heißt, dass der Apfel ein Monopol darauf hat, keine oder kaum allergische Reaktionen auszulösen. Das können andere auch. Die neuen Äpfel, die trugen bei Redaktionsschluss noch die Namen ZIN 186 und ZIN 168. Dabei steht ZIN für die Züchtungsinitiative Niederelbe GmbH & Co. KG. Ein Unternehmen, an dem nach Internet-Recherche
rund 170 Unternehmen partizipieren – Obstanbauer hauptsächlich im Alten Land, Händler:innen, aber auch Wissenschaft, Baumschulen und mehr. ZIN hat beispielsweise bereits eine Apfelsorte speziell für den Discounter Aldi entwickelt. Der Apfel muss rollen… Gebündelte Marktmacht steht hier gegen die tollen Eigenschaften alter Apfelsorten. Denn, was die ZIN-Äpfel können – und wo für Züchtung und Zertifizierung ein dicker Batzen Geld ausgegeben wurde – das können viele alte Sorten von ganz allein. Ein Beispiel: der Danziger Kantapfel. Auf unseren Apfeltagen gern genutzter Testapfel. Denn bei uns auf dem Hof wachsen sie noch, die alten Sorten. In den Kantapfel lassen wir jeden Apfelallergiker und jede Apfelallergikerin mit gutem Gewissen hineinbeißen. Und tatsächlich: Bis heute hat der Apfel noch keine allergischen Reaktionen ausgelöst. Also kaufen Allergiker:innen gerne das ein oder andere Kilo bei uns ein. Der Nachteil: Wir sind kein professioneller Obstanbauer, können die Äpfel also nicht lagern, und überhaupt werden leider die alten Sorten auch im Bioladen nur schlecht verkauft. Wir haben es versucht – doch die schorfigen Stellen können auch eine überzeugte Bio-Kundschaft abschrecken.
Die Natur schenkt uns allergiefreundliche Äpfel, ganz ohne Zertifikat!
Dabei schenkt uns die Natur diese „allergiefreundlichen“ Äpfel – ganz ohne Zertifikat, dafür mit Tradition und individuellem Geschmack. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Deutschland – die Kreisgruppe in Lemgo – arbeitet seit Jahrzehnten kontinuierlich am Thema. Dort gibt es eine Sortenliste, die beweist: Das Gros der alten Apfelsorten löst kaum oder keine Allergien aus. Ob Alkmene oder Berlepsch, der Rheinische Winterrambur oder auch Zuccalmaglios Renette – sie alle tragen kein Siegel, und sind dabei „allergiefreundlich“.
Die Natur hat es so eingerichtet – der Mensch dagegen hat im Laufe der Zeit Äpfel gezüchtet, die sich beim Aufschneiden oder Reinbeißen nicht mehr bräunlich färben. Das ist gut für die Optik, aber dadurch wurden die Polyphenole reduziert. Moderne Äpfel wie der Elstar, Gala, der Golden Delicious und auch der Granny Smith sind so für Apfelallergiker kaum mehr genießbar.
Nun haben es die alten Sorten schon sehr schwer auf dem Apfelmarkt – makellos sind sie meist nicht, trotz herausragender Eigenschaften. Und um dieses „allergiefreundliche“ Siegel zu erhalten, bräuchte es eine dreijährige Begleitforschung, an der für die zertifizierten ZIN-Äpfel, rund 150 Personen teilgenommen haben. Mit von der Partie die Technische Universität München, die Charité Universitätsmedizin Berlin und die Hochschule Osnabrück, deren Professor Werner Dierand auch in der ZIN aktiv und für die Züchtung verantwortlich ist … vorsichtig ausgedrückt: Hier wurden geschickt Synergien ausgenutzt.
Der klinische Studienleiter der ECARF, Karl Christian Bergmann, betonte im Rahmen einer Pressekonferenz über die alten verträglichen Apfelsorten: „Diese sind nicht getestet, und nicht weit verbreitet.“ Ersteres stimmt – wenn man die ECARFTestung zu Grunde legt. Doch der Praxistest sagt da anderes. Und es stehen jetzt zwar 200.000 junge ZIN-Apfelbäume im Alten Land, die alten Sorten aber gibt es in ganz Deutschland, und in Österreich, und überall – die alten Sorten sind also wirklich weit verbreitet. Nur leider schlecht vermarktet, beziehungsweise vermarktbar. Dabei sind die alten Sorten die günstigere Alternative, keine Zertifizierungskosten, eine Vielfalt an Geschmacksrichtungen – und, auch für Nicht-Mitglieder der Züchtungs-Initiative anbaubar. Die Aufgabe ist also: Besseres Marketing für traditionelle (Bio)Apfelsorten.
Mehr Infos zu den alten Sorten und deren Allergiefreundlichkeit:
https://www.bund-lemgo.de/apfelallergie.html
Recherchehinweis: Gerne hätten wir mehr gewusst – zu den Kosten des Zertifizierungsverfahrens, zu dem Bio-Anteil der ZINÄpfel, zu Züchtungshintergründen. Doch die ECARF war trotz mehrmaliger Anrufe nur auf der Mailbox erreichbar. Und Prof. Werner Stierand (Hochschule Osnabrück), in der ZIN leitend verantwortlich, hat es auch leider nicht geschafft, zurückzurufen. Schade.
Peter Schmidt ist Ökolandwirt und Vorstand des Biokreis Erzeugerring NRW
und Niedersachsen e.V.