Wo ist die lila Kuh?

Claudia
und Wilhelm Belke vom Biohof Belke

Diese oder ähnliche Fragen stellen Kinder, die noch nie eine „echte“ Kuh auf der Weide gesehen haben. Nicht so die Kinder, die den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb Hof Belke in Attendorn besucht haben …
Bereits zum siebten Mal besuchten die Schüler:innen der zweiten Klasse der Gemeinschaftsgrundschule Attandarra das pädagogische Hofgelände im kleinen Ort Milstenau, einem 70-Seelen-Dorf im Kreis Olpe. Früh am Morgen machte sich die bunt gemischte Gruppe auf den Weg ins „Grüne Klassenzimmer“ – ein 12 x 36 Meter großes Gewächshaus, das eigens für pädagogische Zwecke eingerichtet wurde.
Schon beim Betreten strömt den Kindern der Geruch von feucht-warmer Erde entgegen. In dichten Reihen wachsen hier Salat, Spinat und Erdbeeren. Insgesamt besuchen 13 Klassen aus unterschiedlichen Schulen regelmäßig den Hof, um Natur hautnah zu erleben, mehr über die Herkunft von Lebensmitteln zu erfahren und den verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu erlernen.

Lernen mit Herz, Hand und Verstand
Claudia und Wilhelm Belke, die den Hof gemeinsam führen, liegt besonders die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) am Herzen. Die Kinder lernen nicht nur Fakten – sie erleben selbst, wie biologische Landwirtschaft funktioniert, wie Tiere gehalten werden und wie man sich eine eigene, fundierte Meinung bildet.
Nach dem Besuch bei den Milchkühen des Nachbarbetriebs erfuhren die Kinder zum Beispiel, warum Kälbchen nicht die Milch ihrer Mütter trinken. Gemeinsam überlegten sie, wie sich der eigene Milchkonsum reduzieren lässt – zum Beispiel durch Fruchteis statt Milcheis.
In der Schafherde der vom Aussterben bedrohten Rasse „Coburger Füchse“ durften die Kinder die Tiere streicheln und beobachten. Neugierige Fragen wie „Wer ist hier der Chef?“ oder „Ist das ein Junge oder ein Mädchen?“ zeigten, wie interessiert die Kinder sind. Ein besonderes Highlight: frisch geborene Lämmer, die von ihren Muttertieren gesäugt wurden.


Eine andere Gruppe beschäftigte sich mit dem Pikieren von Tomatenpflanzen. Nach einer kurzen Anleitung bekam jedes Kind Material, pflanzte eigenständig Setzlinge der Sorte „Sibirische Birnentomate“ und beschriftete seine Pflanze. Das Wachstum der Tomaten wird in den nächsten Wochen genau beobachtet.
Auch die Hoftiere freuten sich über Besuch: Esel Max und Pony Marlene genossen viele Streicheleinheiten, während die Gänse Gustav und Gisela sich unter einer erfrischenden Morgendusche sichtlich wohl fühlten.
Vom Familienbetrieb zum Bildungsort
Das pädagogische Konzept von Claudia und Wilhelm Belke entwickelte sich nach und nach. „Die ersten Klassen kamen, als unsere eigenen Kinder noch im Kindergarten waren“, erinnert sich Claudia Belke. Mit steigender Nachfrage wurden weitere Bereiche aufgebaut, erste Mitarbeiter:innen eingestellt und Jahreskurse angeboten.
2018 übernahm Wilhelm Belke den elterlichen Betrieb, in dem er seine Tiere selbst schlachtet und vermarktet. Die Umweltbildung begann bereits 2004 und mündete 2021 in die Gründung der gemeinnützigen Hof Belke UG. Inzwischen arbeiten über 30 Angestellte auf dem Hof – darunter
viele Ehrenamtliche, Praktikant:innen und FÖJler wie Arne Becker.
Neben vielfältigen Projekten wie dem Verwerten von Schafwolle, dem Anlegen von Streuobstwiesen über Waldpädagogik-Kurse mit Hüttenbau und Kochen am offenen Feuer bis hin zu Leistungskursen zur Ökoregel Nr. 5 (Kennarten der Dauergrünland-Extensivierung) gehören auch Demenzgruppen aus Pflegeheimen zu den regelmäßigen Gästen – mit spürbar positiver Wirkung. „Oft kehren Erinnerungen zurück, und die Menschen blühen förmlich auf, wenn sie Tiere streicheln oder einfach in der Natur sind“, erzählt Wilhelm Belke.
Belke führt weiter aus, dass es grundsätzlich das Ziel sei, den Kindern praktische Kenntnisse über die ursprüngliche Lebensmittelproduktion, alltägliche Hofarbeiten sowie Lebensmittelkreisläufe zu vermitteln und praktisch erlebbar zu machen. Durch den eigenen Einsatz beim Anbau, der Ernte und der Verarbeitung erreiche man bei den zukünftigen Konsument:innen die Wertschätzung für natürliche und regionale Produkte.
Nachhaltigkeit lernen und leben
Auch auf europäischer Ebene ist der Hof aktiv: Im Rahmen des Erasmus-Programms werden regelmäßig gemeinsame Projekte mit einer italienischen Schule durchgeführt – etwa das Anlegen von Kräuterbeeten oder das Herstellen von Seifen und Salben.
In der Lehrküche im Obergeschoss des Gewächshauses wurde derweil schon fleißig am Mittagessen gearbeitet: Es gab Brotchips in verschiedenen Gewürzvarianten. Die Rezepte dazu gibt es zum Nachmachen auf der Website der Familie Belke (www.hof-belke.com) – ein Beitrag zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung.
Seit 2004 beherbergt der Hof zudem eine Außengruppe des heilpädagogischen Kinderheims Josefshaus Olpe. Neun Kinder finden hier aktuell ein naturnahes, geschütztes Zuhause auf Zeit, in dem sie Gemeinschaft erleben, Tiere kennenlernen und eigene Potenziale entfalten können.
Landwirtschaft mit Zukunft
Die vielen Angebote zeigen, wie landwirtschaftliche Betriebe mit kreativen und geförderten Konzepten neue Wege gehen können. Die Nachfrage nach Bildungspartnerschaften wächst – ein klares Zeichen für den gesellschaftlichen Wandel.
Zahlreiche Projekte werden vom Land NRW über die Stiftung Umwelt und Entwicklung gefördert, ebenso sind Kooperationen mit Kommunen möglich. Weitere Informationen gibt es bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof e.V. (BAGLoB) sowie online unter www.bne-portal.de.
Für die Familie Belke war die Entscheidung, auf naturnahe und bildungsübergreifende Konzepte zu setzen, genau richtig. Geplant sind nun der weitere Ausbau des Gemüseanbaus sowie die Anschaffung eines Hühnermobils für noch mehr lebendiges Lernen mitten in der Natur.
Die Autorin Annette Schmelzer ist Leiterin der Geschäftsstelle
des Biokreis Erzeugerring NRW und Niedersachsen.