Die Biene kann auch stechen!

Pestizide auf dem Feld
Wie sich die Bio-Branche jetzt gegen die Bedrohung ihres Kerngeschäftes wehrt
und für Biodiversität kämpft. Von Alisa Hufsky


Pestizide bleiben auf konventionellen Äckern? Von wegen. Sie können sich kilometerweit über die Luft verbreiten und so auch Bio-Ernten gefährden. Das konnte das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL) zeigen. Der Zusammenschluss namhafter Bio-Unternehmen belegte zusammen mit dem Umweltinstitut München, in welchem Ausmaß chemisch-synthetische Pestizide über die Luft transportiert werden. Alarmierend: Trotz wissenschaftlicher Warnrufe ignorieren Politik und Behörden die Gefahr für Mensch, Natur und Bio-Produkte. Jetzt geht das BEL rechtliche Schritte gegen besonders kritische Pestizid-Wirkstoffe und für eine Reform des Zulassungssystems. Die dringende Mission: Jetzt auf EU-Ebene eingreifen und die Zukunft von Gesundheit, Ökosystemen und Ökolandwirtschaft sichern.
Das ist Inakzeptabel: Immer mehr Bio-Ernten zerstört
Im persönlichen Interview mit dem Bündnis berichtete Bio-Landwirtin Franziska Blind aus Oettingen: „Meine gesamte Körnerfenchel-Ernte war von verwehten Pestiziden unbekannter Herkunft so sehr kontaminiert, dass sie vernichtet werden musste.“ Diese harte Erfahrung ist leider kein Einzelfall und passt zu der 2020 veröffentlichten Studie von Bündnis und Umweltinstitut: An 163 Standorten in Deutschland fanden sich Rückstände von insgesamt 138 Pestiziden und deren Abbauprodukten. Jede einzelne
Probe war kontaminiert!
Zulassungsverfahren mit Tunnelblick
Meist zeigte die Studie „Cocktails“ aus bis zu 36 verschiedenen Wirkstoffen. Darunter häufig genutzte Substanzen wie Glyphosat und Pendimethalin und sogar in Deutschland seit Jahren verbotene Stoffe wie DDT. Doch im Pestizid-Zulassungsverfahren wird der sogenannte Ferntransport über die Luft bislang nicht berücksichtigt. Die Zulassungsverfahren schauen mit Tunnelblick nur auf einzelne Substanzen, nicht aber auf ihre komplexe Wechselwirkung oder die Aufnahme über die Atemwege. Was genau Pestizid-Cocktails in der Luft für unsere Gesundheit und Artenvielfalt bedeuten, ist noch völlig unerforscht. Viele dieser Ackergifte gelten jedoch als hochgiftig, krebserregend oder hormonell schädigend.
Wenn Bio-Existenzen bedroht sind
Während sich Ackergifte flächendeckend ausbreiten, ist auch die vielbeschworene Koexistenz zwischen ökologischer und industrieller Landwirtschaft in Gefahr. Denn immer häufiger können Bio-Landwirt:innen wie Franziska Blind ihre Ernte nicht vermarkten, weil sie durch Pestizid-Ablagerungen aus der Luft kontaminiert wurde. Rund 100 Millionen Euro schultert die Bio-Branche jedes Jahr aus Ertragsverlusten und aufwändigen Vorsorge- und Kontrollmaßnahmen. Aber eben diese Betriebe sorgen dafür, dass gesundheits- und umweltbewusste Kundschaft Lebensmittel in bester Qualität auf den Tisch bekommt. Solange Pestizid-Abdrift in Deutschland nicht systematisch erfasst wird, bleibt das wahre Ausmaß des Problems im Dunkeln. Behörden sprechen weiter von bedauerlichen Einzelfällen und sehen keinen Anlass zum Handeln. Um Transparenz zu schaffen, werden Abdrift-Betroffene um Mithilfe gebeten. Das BEL erklärt auf seiner Website, wie und wo Abdrift unbürokratisch und anonym gemeldet werden sollte:
www.enkeltauglich.bio/abdrift-melden
Ein Skandal: Politik von Agrarlobby ausgehebelt
Bis 2030 sollen Einsatz und Risiko von Pestiziden in Europa halbiert werden, so hatte es die Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission angekündigt. Doch ein entscheidendes rechtliches Instrument, die EU Pestizidreduktionsverordnung (SUR), scheiterte Ende letzten Jahres am Druck von Agrarlobby und von konservativen Parlaments-Fraktionen. Der Entwurf ist so stark verwässert, dass sogar Befürworter:innen im EU-Parlament dagegen stimmten. Glyphosat zum Beispiel sollte laut Koalitionsvertrag bis Ende 2023 vom Markt genommen werden – geschehen ist es nicht. Der Ökolandbau wurde zum „agrarpolitischen Leitbild“ der Bundesregierung erklärt, doch von „30 Prozent Bio bis 2030“ sind wir weit entfernt. Auch das kürzlich veröffentlichte „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“, ein vom Landwirtschaftsministerium entwickeltes Programm, um Pestizide in Deutschland zu reduzieren, war enttäuschend unverbindlich, unkonkret und schwach. Warum handeln unsere Politiker:innen nicht entsprechend den Warnungen der Wissenschaft? Konservative Politiker:innen torpedieren die Pestizid-Reduktion, und der enorme Einfluss der Agrarlobby, die Profit über Gemeinwohl stellt, blockiert dringend notwendige Reformen. Es bleibt die bittere Erkenntnis: Für eine zukunftsfähige Pestizid-Politik können wir uns nicht allein auf Regierung oder Behörden verlassen.
Schwachstelle: Zulassungssystem
Ein entscheidender Grund, warum gefährliche Ackergifte immer noch eingesetzt werden, sind gravierende Mängel im aktuellen Zulassungsverfahren. Einige riskante Schwachstellen:
- Ferntransport von Pestiziden durch die Luft und die gefährlichen Folgen: kaum berücksichtigt.
- Auswirkungen auf die Biodiversität: nicht geprüft.
- Wechselwirkungen verschiedener Pestizidwirkstoffe: nicht geprüft.
Hinzu kommt, dass teils veraltete Daten verwendet werden. Besonders bedenklich: Durch sogenannte „technische Verlängerungen“ können Pestizid-Wirkstoffe, deren Genehmigung eigentlich ausgelaufen ist, ohne aktuelle Risikobewertung weiter auf dem Markt bleiben.
Hebelwirkung auf EU-Ebene: Klagen für den Systemwandel
Die Expert:innen des Bündnisses (BEL) haben strukturelle Mängel bei der Zulassung von Pestiziden identifiziert. Hier setzen sie nun mit gezielten Klagen an. Anja Voß, Geschäftsführerin des BEL: „Trotz unserer wissenschaftlichen Untersuchungen haben Politik und EU-Behörden nicht reagiert. Die Politik hat nur leere Versprechungen gemacht. Daher nehmen wir die Dinge jetzt selbst in die Hand – und zwar auf dem Rechtsweg!“
Dazu hat das BEL juristische Schritte gegen zwei – für Umwelt, Gesundheit und Biolandwirtschaft – besonders kritische Wirkstoffe eingeleitet: Fluopyram und Pendimethalin. Die Strategie: Rechtliche Präzedenzfälle zu schaffen für eine grundlegende Reform des Zulassungssystems. Dafür zieht das BEL wenn nötig bis vor den europäischen Gerichtshof. Den Zukunftsacker bestellen und wertvolle Erfahrung
einbringen:
Den Zukunftsacker bestellen und wertvolle Erfahrung einbringen:
- Landwirt:innen können ihre wertvolle Expertise einbringen
Ob Bio-Pionier:in oder erst seit einigen Ernten auf dem ökologischen Weg: Landwirt:innen können als Mitglied im Bündnis ihre wertvollen Erfahrungen aus erster Hand einbringen und beeinflussen, wo die wirkungsvollsten Hebel anzusetzen sind. Damit die gute Saat aufgeht: Hier können landwirtschaftliche Unternehmen ihren Mitgliedsantrag stellen:
enkeltauglich.bio/Mitglied-werden
- Live austauschen und direkt Einfluss nehmen:
P O D I U M S D I S K U S S I O N
auf der Biofach: Die Biene kann auch stechen – Wie sich die Bio-Branche gegen die Bedrohung ihres Kerngeschäftes wehrt und für Biodiversität kämpft.
Wollen wir gemeinsam die nächsten stärksten Hebel
ansetzen, um die Agrarwende voranzutreiben?
Wann: Dienstag, 11.2.25 von 12.00 – 13.00 Uhr
Wo: BIOFACH Kongress, Raum St. Petersburg

Die Größe der dargestellten Punkte stellt nur schematisch die Anzahl der gefundenen Pestizid-Wirkstoffe in der Luft dar. Alle Details in der Studie: „Pestizid-Belastung der Luft“, Dortmund 2020. Download:
www.enkeltauglich.bio/studie
Die Autorin Alisa Hufsky ist Fachreferentin im Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft e.V.