“Wer sich an Kräuter wagt, muss sich ein großes Wissen aneignen”
Der Arznei- und Gewürzpflanzenanbau ist in Sachen Bio einer der Vorreiter und weist beispielsweise in Bayern einen Bio-Anteil von mehr als 40 Prozent der Anbaufläche auf. Die deutschlandweit gefragte Spezialistin für Arznei- und Gewürzpflanzen Dr. Heidi Heuberger von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) vernetzt Wissenschaft und Praxis und erklärt im Interview, warum der Sprung zu Bio nicht allzu groß ist, warum Heilaussagen in der Direktvermarktung tabu sind und was Kräuter für die Biodiversität leisten.
Frau Dr. Heuberger, wie definieren sich eigentlich Kräuter und Gewürze?
Auf Englisch spricht man von „Medicinal and Aromatic plants“, das heißt also, es geht um Pflanzen, die über eine heilende Wirkung oder ein besonderes Aroma verfügen. Diese zeichnen sich durch sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe aus. Dabei gibt es durchaus Unschärfen. Meerrettich etwa zählt einerseits als Gemüse, andererseits aber auch als Heilpflanze.
In unserem Verband findet Kräuter- und Gewürzanbau in einer sehr kleinen Nische statt. Wie sieht denn die Entwicklung in diesem landwirtschaftlichen Sektor aus?
Wenn die Kartoffel eine Sonderkultur ist, dann sind Kräuter und Gewürze Sonder-Sonder-Kulturen. Die aktuellste mir vorliegende Zahl stammt aus dem Jahr 2019 und beziffert den Anbau auf rund 4000 Hektar in Bayern. Ich denke aber, dass diese Fläche inzwischen sogar abgenommen hat.
Warum?
Der Kräuter- und Gewürzanbau stellt hohe Anforderungen an Bodenvorbereitung und Unkrautbekämpfung. Gemeinsam mit den unsteter werdenden Witterungsbedingungen braucht es viel Können, um hier erfolgreich zu sein. Der viele Regen in diesem Jahr war beispielsweise für einige Betriebe ein Riesenproblem.
Ist es nicht so, dass der Klimawandel den Anbaubedingungen für Kräuter auch positiv entgegenkommt?
Das ist richtig. Es wird wärmer und trockener, davon profitieren etwa der Thymian- oder auch der Salbeianbau mit guten Qualitäten. Für die Ansaat und Keimung brauchen beide Kulturen aber dringend Bodenfeuchte.
Für wen sind diese Sonderkulturen grundsätzlich interessant?
Wer sich an Kräuter wagt, muss sich ein großes Wissen aneignen. Vorteile haben jene, die sehr gut im Pflanzenbau ausgebildet sind. Außerdem braucht es die Bereitschaft, sich intensiv in die Thematik einzuarbeiten. Natürlich gibt es auch gute Literatur, wie etwa das Standardwerk „Handbuch des Arznei-
und Gewürzpflanzenanbaus“, aber lange nicht so viel wie bei Getreide.
Und was ist bei der Standortwahl zu beachten?
Kräuteranbau ist prinzipiell überall dort möglich, wo Ackerbau funktioniert. Es gibt ein paar Arten, die auch mit kargen Böden zurechtkommen, aber für die meisten sollte ein guter Boden die Grundlage sein. Löss und alles, was leichter ist, ist geeignet. Pflanzen, deren Wurzeln geerntet werden, brauchen siebfähige Böden, also Sandböden und leichtere. Speziell im Bio-Anbau ist auf möglichst wenig Unkrautdruck zu achten. Steinige Böden bieten schlechte Bedingungen für die Unkrautbekämpfung. Damit es bei den Untersuchungen zur Produktqualität keine Überraschungen gibt, müssen Kontaminationen aus dem Boden wie Schwermetalle oder persistente Pflanzenschutzmittelrückstände vermieden werden.
Warum liegt der Anteil des biologischen Kräuter- und Gewürzanbaus in Bayern bei 40 Prozent?
Im Heil- und Gewürzpflanzenanbau sind auch in der konventionellen Landwirtschaft nur sehr wenige Pflanzenschutzmittel zugelassen. Daher ist der Sprung zu Bio an sich nicht allzu groß. Die Hürde liegt eher in den noch höheren Anforderungen an die Produktreinheit. Diese zu erfüllen, ist aufgrund der überall vorkommenden Kontaminanten sehr schwierig und schreckt manche von einer Umstellung und Zertifizierung ab.
Und wie sieht es mit dem Selbstversorgungsgrad aus?
Dieser liegt bei zehn Prozent, bezieht sich aber auf den Durchschnitt über alle Arten hinweg. Petersilie etwa wird exportiert, auch nach Asien und in die USA. Dagegen gibt es Arten, die bei uns nicht wachsen wie Pfeffer oder Teufelskralle und die daher importiert werden. Regionaler Anbau wäre natürlich wünschenswert, doch beim größten Anteil des Markts zählt in erster Linie der Preis und nicht die Regionalität. Trotzdem gibt es auch im Bio-Bereich große Player und große Verarbeitungsunternehmen. Grundsätzlich ist die Aufbereitung von Kräutern und Gewürzen sehr energieaufwändig. Daher investieren Betriebe derzeit stark in die Umstellung auf erneuerbare Energien, etwa in PV- oder Hackschnitzel-Anlagen.
Welche Rolle spielt die Direktvermarktung?
Da Kräuter und Gewürze sehr gründlich und aufwändig untersucht werden müssen, sind sie in der Direktvermarktung nur vereinzelt zu finden. Vor allem Heilpflanzen müssen auf ihre Leitsubstanz hin untersucht werden und einen Mindestgehalt aufweisen, um als Rohstoffe für die Arzneimittelproduktion
eingestuft zu werden.
Wie dürfen Direktvermarktende Heilpflanzen anpreisen? Was muss beim Hinweis auf Wirkungen beachtet
werden?
Wichtig ist: keine Heilaussagen auf den Artikel! Es ist möglich, Kopien aus Büchern zum Produkt zu legen, aber selbst auf eine Wirkung hinzuweisen, ist ein No-Go. Ich möchte hier auf die HMPC-Monographien (Anmerkung der Redaktion: HMPC ist die Abkürzung für einen fachlichen Ausschuss auf EU-Ebene: Committee on Herbal Medicinal Products, Ausschuss für Pflanzliche Arzneimittel) hinweisen, die ganz klar die Wirksamkeiten von Heilpflanzen darlegen. Auszüge aus diesem Verzeichnis dürfen etwa in der Direktvermarktung neben den Artikel platziert werden. Darüber hinaus kann man auf blumige Produktnamen setzen, die in eine bestimmte Richtung deuten. Aber auch dabei sollte man sehr vorsichtig sein.
Nicht nur wir Menschen können von Kräutern und Gewürzen profitieren, auch die Artenvielfalt kann gewinnen …
Ja, das ist richtig. Unter den Kräuter- und Gewürzpflanzen haben wir viele blühende Arten. Vor allem die Druschfrüchte wie Mohn blühen bis zum Ende. Und auch Wurzeln werden erst nach der Blüte geerntet. Insekten haben bei den Kräutern also viele Möglichkeiten. Was in einem Fenchelfeld alles so kriecht und läuft und fleucht – das ist beeindruckend. Über Kümmel und Anis schweben zahlreiche Fliegen. Sesam entdecken wir derzeit als neue Kultur, die mit dem Klimawandel gut zurecht kommt und darüber hinaus der Artenvielfalt nützt. Aber allein schon mit den Kulturen kommt pflanzliche Biodiversität auf den Acker. Allerdings muss man hier einräumen, dass Beikraut im Erntegut nicht geduldet wird. Alles muss penibel entnommen werden, um vermarktungsfähig zu sein. An Beikräutern können sich die Arten also hier in der Regel nicht erfreuen.
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