Vernetzung über die ganze Stadt

Bio erleben, Nuernberg Hauptmarkt, 21.-23. Juli 2017
Foto: Nuernberg, Anestis Aslanidis
Die Bio-Stadt Nürnberg ist die erste, die sich 2003 als solche auf den Weg machte. Dr. Werner Ebert, Leiter der Biometropole und Geschäftsführer des Netzwerks der Bio-Städte, war von Anfang an in den Prozess involviert. Im Interview erklärt er, wie sich eine Stadt vernetzen kann, weche ökologischen und ökonomischen Leistungen sie erbringen und wie sie vom Bio-Status profitieren kann.


Herr Dr. Ebert, bereits seit 2003 ist Nürnberg Bio-Stadt. Wie kam es dazu?
Den Anstoß gaben damals Bio-Unternehmen, allen voran Hubert Rottner, der Gründer der Biofach. Auf Bundesebene sprach sich in dieser Zeit Renate Künast für mehr Bio aus, im Stadtrat griff eine Initiative von Grünen und CSU diese Stimmung auf und erwirkte einen Beschluss, über den nach wie vor ein großer Konsens herrscht. Eine Bio-Stadt zu werden, funktioniert nicht nur innerhalb der Verwaltung. Es war uns von Anfang wichtig, die Bio-Szene einzubinden. Seit 2004 finden alle zwei Monate Treffen statt, zu denen Menschen aus der Landwirtschaft, der Verbraucherschaft, der Lebensmittelverarbeitung und aus Vereinen
zusammenkommen. Vernetzung ist für eine Bio-Stadt elementar.
Warum ist die Zustimmung in Nürnberg so groß? Bio ist immer noch keine Massenbewegung. Anfangs wurde man auch belächelt, aber in den vergangenen Jahren gab es viel Rückenwind – auch weil Bio auf Bundes- und Landesebene relativ viel Unterstützung erfuhr und die engagierten Menschen vor Ort Erfolge und Wertschätzung erleben konnten.
Derzeit sieht der Rückenwind seitens der Politik aber nicht so vielversprechend aus. Befürchten Sie negative Auswirkungen auf die Bio-Städte? Grundsatzziele wie 30 Prozent Bio bis 2030, der 50-Prozent-Bio-Regio-Beschluss der bayerischen Staatsregierung oder Zielbeschlüsse von Kommunalparlamenten sind wichtig, denn ohne sie wird es schwieriger, sich auf etwas zu beziehen. Ein Fehlen solcher Ziele sehe ich daher durchaus als problematisch.
Warum war Nürnberg als Bio-Stadt besonders geeignet? Als Anknüpfungspunkte lassen sich sicher die Biofach, das sogenannte Knoblauchsland mit spezialisierten Bio-Betrieben und bekannte, große Verarbeitungsbetriebe und Händler wie Neumarkter Lammsbäu oder ebl Naturkost nennen. Grundsätzlich ist ein Engagement für Bio aber für jede Stadt denkbar und sinnvoll. Die Städte, die etwas tun, haben gezeigt, dass das viele Vorteile bietet. So profitieren die Bevölkerung von der Versorgung mit hochwertigen, regionalen Lebensmitteln und die Betriebe von mehr regionaler Wertschöpfung und Stadt-Land-Vernetzung.
Welche Projekte konnten denn in der Bio-Stadt Nürnberg
umgesetzt werden?
Unser großes Thema ist sicherlich die Gemeinschaftsverpflegung – und hier sind wir insgesamt gut vorangekommen. In den Kitas haben wir einen Bio-Anteil von 75 Prozent erreicht, in den allgemeinbildenden Schulen liegt er zwischen 20 und 30 Prozent, in der Rathauskantine ist eines von drei Gerichten ein 100-Prozent-Bio-Gericht. Schwieriger ist es im Klinikum, wo mit 10 Prozent Bio-Anteil noch Luft nach oben ist, sowie in der Seniorenversorgung. Dabei haben wir festgestellt, dass für die Preise am Ende nicht Bio, sondern die Personalkosten ausschlaggebend sind. In den Kitas stellt die Stadt das Ausgabepersonal daher selbst und setzt hierfür Langzeitarbeitslose oder schwer vermittelbare Personen ein. Um die Kontrolle des Bio-Anteils kümmert sich das Jugendamt. Unsere beiden Berufsschulen sind ebenso biozertifiziert, genauso wie unser Tiergarten.
Das klingt nach einem gut funktionierenden Netzwerk … Hinzu kommen die Ökomodellregionen, mit denen gemeinsam regionale Wertschöpfungsketten entwickelt werden. Auf diese Weise werden Großabnehmer:innen und regionale Lieferant:innen zusammengebracht, Partner:innen vernetzt und geförderte Projekte abgewickelt.
Inwiefern profitiert Nürnberg finanziell von seinem Status als Bio-Stadt?
Durch den guten Ruf als Bio-Stadt werden auch Projekte an uns herangetragen. So wurden wir zum Beispiel angefragt für die Teilnahme an „SchoolFood4Change“, einem geförderten EU-Projekt zur Schulernährungsstrategie. Wir konnten dadurch mehr als 400.000 Euro Fördermittel nutzen und für die Projektlaufzeit und darüber hinaus eine neue Stelle schaffen. Außerdem profitieren wir von einem vielseitigen Sponsoring, etwa bei der Brotboxaktion oder bei der bis 2022 durchgeführten Veranstaltung „Bio erleben“ auf dem Hauptmarkt. Die Geldgeber wissen einfach: Die Stadt meint es ernst.


Die Bio-Stadt Nürnberg läuft. Worin besteht jetzt Ihre Aufgabe?
Wichtig und ausbaufähig ist weiterhin die Außer-Haus-Verpflegung genauso wie Wertschöpfungsprojekte. Deutlich an Gewicht gewinnt auch die Bildungsarbeit, vor allem in der Gemeinschaftsgastronomie, wie das „Haus der Kost“ in München oder die „Kantine Zukunft“ in Berlin zeigen. Aktuell gibt es zwar in den Kommunen Diskussionen darum, wo eingespart werden kann. Aber in Bio und in die Land- und Ernährungswirtschaft investiertes Geld bieten einen hohen Nutzen für Kommunen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass immer mehr Kommunen aktiv werden. Ein weiteres Feld: Stadtplanung, Stadtentwicklung, Regionalplanung und Regionalentwicklung. Hier besteht derzeit noch
nicht viel Interesse, Bio aufzugreifen. Es fehlen aber auch die gesetzlichen Grundlagen, zum Beispiel im Bundesbaugesetz. Im Kulturbereich wären ebenso spannende Projekte möglich …
Und wie können Sie die Bürger:innen für Bio gewinnen?
Großveranstaltungen wie das Tollwoodfestival in München oder unser ehemaliges „Bio erleben“ bieten eine niedrigschwellige Möglichkeit, mit Bio in Berührung zu kommen. Während der Biofach gibt es für die Bevölkerung zudem ein Begleitprogramm „Bio in der Stadt“. Exkursionen zu Bio-Betrieben sprechen meist diejenigen an, die schon interessiert sind, sind aber dennoch spannende Erlebnisse. Über Einkaufsführer lassen sich Verbraucher:innen, über Kitas Eltern erreichen. Die Grenzen des Machbaren sind jedoch insgesamt schnell erreicht. Mit welchen Argumenten ließe sich ein Stadtrat für den Bio-Status einer Kommune überzeugen? Die Bio-Branche schafft Arbeitsplätze, derzeit bundesweit rund 400.000, und die Zahl der Unternehmen wächst stetig. Bio zu fördern heißt, Arbeitsplätze und den Wirtschaftsstandort zu fördern. Bio passt zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, also zu Aufgaben von Kommunen. Bio-Essen bietet gesundheitliche Vorsorge, da es keine synthetischen Zusatzstoffe enthält. Und die Kinder lernen in den Kitas gesundes Essen kennen. Bio-Städte profitieren auch von der Vernetzung untereinander sowie mit den Ökomodellregionen sowie von gemeinsamen Projekten. Den Austausch von Erfahrungen schätzen alle.