Oder: Muss Bio politisch sein?
Liebe Leser:innen,
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“: Diesen Vers aus Hermann Hesses Gedicht „Stufen“ von 1941 zitierte der Biokreis-Pionier Josef Hofbauer im Gespräch mit mir über den Beginn des Ökolandbaus. Zauber war die eine Seite. Die andere: Unsicherheiten, das Wagnis, sich gegen ein herrschendes System zu stellen und immer wieder Anfeindungen von außen. Das alles führte bei den „Ökos“ zu einem Gefühl der Gemeinschaft, der Stärke und zum festen Glauben daran, miteinander etwas bewegen zu können. Und es gelang.
Heute scheint es, als müssten sich Öko-Landwirt:innen und andere Menschen aus der Bio-Branche nicht mehr dagegenstellen, sondern vielmehr einfügen – in ein System, das Bio willkommen heißt, wenn auch zu den systemimmanenten Bedingungen. Die Gründe, sich zu positionieren, erscheinen weniger drängend. Doch wer genauer hinsieht, merkt, dass die Herausforderungen nicht weniger geworden sind: Pestizide auf den Äckern, Antibiotika-Einsatz in der Massentierhaltung, Bodenspekulationen, Artensterben, die Verdrängung der bäuerlichen Landwirtschaft zugunsten industrieller Strukturen, eine damit verbundene Übermacht großer Konzerne, die durch die Deregulierung der sogenannten Neuen Gentechnik noch mal einen neuen Schub erhalten könnte… Zu all dem birgt der Ökolandbau einen praktikablen Gegenentwurf. Sind Engagement und Einsatz angesichts dessen heute wirklich weniger notwendig als vor 40 Jahren?
Mit unserem Titelthema „Haltungswechsel – Sind ‚Ökos‘ noch politisch?“ zeigen wir Menschen, die dazu beigetragen haben, die Welt zu verändern, wie den Biokreis-Imker Hans Georg Oswald: Mit seiner Klage gegen den Freistaat Bayern hat er diesen von der Gentechnik befreit. Wir berichten über die Biokreis-Landwirtin Bärbel Endraß, deren Umstellung auf Bio „auch ein politischer Schritt“ war, und über den Junglandwirt Tristan Billmann, dessen politische Einstellung sich mit der ökologischen Bewirtschaftung verstärkt und sogar zu parteipolitischem Engagement geführt hat.
Bio kann politisch sein. Das zeigt auch Stephan Paulke, der in der Branche beruflich fest verankert und Gründer des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft ist. Bio kann politisch sein? Oder muss Bio vielmehr politisch sein? Wer die Rahmenbedingungen für Stellung und Ausbau der Ökolandwirtschaft verbessern will, hat nur eine Wahl: Haltung zeigen. Sonst beackern das Feld der politischen Gestaltung andere.
Eure