Für den Menschen und die Sinne
Bei NORIS Inklusion wird mit Kräuteranbau die Teilhabe am Arbeitsleben gesichert.
Die Töpfe werden gut ausgeputzt auf den Pflanztisch gestellt. Per Hand wird Erde eingefüllt, in die Basilikumsamen rieseln. Innerhalb weniger Wochen wird die daraus wachsende Pflanze erntereif sein. Der Rosmarin dagegen stammt aus Eigenvermehrung. Die Stecklinge einer Mutterpflanze werden auf Platten bewurzelt, im Topf pikiert und gedeihen in diesem auf warmen Tischen. Schafwollpellets liefern dem Rosmarin Stickstoff und Phosphor. Als Gartenkraut muss er anschließend im Kältebereich abgehärtet werden. Eineinhalb Jahre können vergehen, bis er endlich verkaufsreif ist. „Manchmal ist das Einfache wirtschaftlicher als das Komplizierte“, erläutert Michael Volland eine Eigenart des Kräuteranbaus. Im Biokreis-Betrieb NORIS Inklusion ist er Betriebsleiter und betreut in dessen Naturerlebnisgärtnerei 135 Menschen mit Behinderung, zwölf von ihnen als eine stabile Gruppe im Kräuteranbau. „Kräuteranbau passt zu unserem Inklusionsauftrag“, erklärt der Landschaftsgärtnermeister. „Sämtliche Sinne der Beschäftigten werden damit bedient. Der Geruch, der Geschmack, die Arbeit mit der Hand … Und indem wir das ganze Jahr über ihre Lebensmittel erzeugen, entsteht mit der Kundschaft eine besondere Art der Begegnung.“
Mehr als 100 verschiedene Kräuter
Seit 20 Jahren wird in der ehemaligen Nürnberger Stadtgärtnerei auf 1400 Quadratmetern Kräuteranbau im Gewächshaus betrieben und ganzjährig über einen Hofverkauf mit 800 Quadratmetern Fläche vermarktet. Dort werden auch Obst, Gemüse, Geschenkartikel, Kinderspielzeug und andere in den Werkstätten hergestellte Produkte angeboten. Ein Teil der Kräutertöpfe geht zu ebl-Naturkost, vor allem Küchenkräuter wie Petersilie, Schnittlauch oder Koriander. „Wir besetzen mit dem Kräuteranbau natürlich eine Nische, gehen dabei aber sehr stark in die Breite“, erläutert Michael Volland die Stärke des Konzepts. Mehr als 100 verschiedene Kräuter wachsen im Gewächshaus, von Minze bis Currykraut, von Stevia bis Shiso.
Um die Auswahl und die Erweiterung des Spektrums kümmert sich Staudenmeisterin und Gruppenleiterin Marlene Löhndorf. Dabei klärt sie Fragen wie: Woher kommt die Pflanze? Gibt es eine Mutterpflanze oder Saatgut? Ist dieses in Bio-Qualität verfügbar? Die Kultivierung sei interessant und spannend. Dabei zeige sich nach und nach, wie viel Wasser und Nährstoffe aufgenommen werden können, wie sich das Verhältnis von Stickstoff und Kohlenstoff im Substrat entwickelt, welche Düngung Sinn macht und wie sich diese etwa auf die Blätter auswirkt. „Das Wissen kommt mit Beobachtung und Erfahrung“, sagt Michael Volland. So werde beispielsweise auch ein einfaches Kraut wie Basilikum je nach
Jahreszeit unterschiedlich gepflegt. Denn mit Licht und Temperaturen verändern sich auch Krankheiten und Schädlinge – und diese seien im Kräuteranbau immer eine Herausforderung.
Einsatz von Nützlingen
Mal ist es die weiße Fliege, die Ärger macht, mal der Mehltau und dann wieder die Blattlaus. Auch die Trauermücke sei ein ständiges Problem. Gerade wenn ein paar Tage die Sonne scheint, müsse man mit Läusebefall rechnen. Ist er einmal an der Pflanze, kann sie nicht mehr verkauft werden. Die Schädlingsbekämpfung sei im biologischen Anbau das größte Erschwernis, denn konventionell gebe es gegen jeden Schädling ein Mittel. Bei NORIS Inklusion setzt man in erster Linie auf Nützlinge.
Bis zu 45.000 Topfkräuter erzeugt der Betrieb im Jahr – und der Preisdruck sei bei der Vermarktung enorm. „In Deutschland findet bei Lebensmitteln eine regelrechte Preisschlacht statt“, kritisiert Michael Volland. Im Discounter etwa werde ein Kräutertopf zum Teil für 1,19 Euro angeboten – inkludiert sind Topf, Substrat, Kraut, Verpackung und Logistik. „Was soll da in der Landwirtschaft bleiben?“ Bei einer wirtschaftlichen Kalkulation komme man beispielsweise bei der Kultivierung der Stevia-Pflanze auf rund 20 Euro. Niemand sei aber bereit, mehr als 5 bis 7 Euro dafür auszugeben. Die wachsenden Energiepreise würden sich zudem im Kräuteranbau stark auswirken. Bei NORIS Inklusion wird noch mit Erdgas geheizt, aber die Gedanken weisen in Richtung industrielle Wärmepumpen, verbunden mit Photovoltaik. „Dabei steht auch ganz klar die Frage im Vordergrund: Was können wir uns leisten?“, sagt der Betriebsleiter.
Heilpflanzen: Eine Nummer zu groß
Pläne für die Zukunft betreffen auch Erweiterungen des Produktportfolios. Schnittkräuter würden immer wieder angefragt. Auch den Heilpflanzen habe man einen kurzen Gedanken gewidmet, sich von diesem aber wieder verabschiedet. „Obwohl wir schon Echinacea kultivieren, haben wir hier zu viel Respekt vor der Qualitätsanforderung. Die Homogenität dabei ist uns einfach eine Nummer zu groß.“ Vielmehr setze man darauf, das noch zu verbessern, was man schon kann, und der Kundschaft „auf den Mund zu schauen“. In einem Jahr gehe die krause Petersilie besser, im nächsten werde vor allem die glatte nachgefragt. An solche Bedürfnisse wolle man sich anpassen. Und letztendlich stehe ein anderer Auftrag im Vordergrund: die Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern. „Jeder Mensch in Deutschland hat gesetzlich dasselbe Recht auf Arbeit“, erklärt Michael Volland, „und die Menschen bei uns setzen den Rahmen für das, was möglich ist.“