Kleine Änderungen, große Folgen
Der Fachtag Bio-Recht ist über die letzten Jahre zu einem festen Bestandteil in meinem Terminkalender geworden. Einmal jährlich informieren hier sachkundige Referent:innen über die neuesten Entwicklungen im Öko-Recht – und da gibt es seit dem Inkrafttreten der „neuen“ EU-Öko-Verordnung 2022
immer noch viel zu berichten.
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Vorstände Marcus Wewer vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und Martin Rombach vom Bundesverband der Öko-Kontrollstellen e. V. (BVK), die den Fachtag veranstalteten, ging es dann auch direkt mit geballtem Fachwissen los.
Ziel: Weidemaximierung
Da die meisten Leser:innen der BioNachrichten aus dem Bereich Landwirtschaft kommen, soll der Vortrag von Tanja Barbian zu einigen heiß diskutierten Themen aus diesem Bereich hervorgehoben werden. Tanja Barbian informierte über das Weide-Pilotverfahren gegen Deutschland. Durch dieses ist ein Bruch mit der bisherigen Umsetzung der Weidevorgabe zu erwarten beziehungsweise schon erfolgt. „Pflanzenfresser müssen Zugang zu Weide erhalten, wann immer die Umstände es gestatten“, steht in der VO. Wurden als „Umstände“ bisher auch strukturelle Gründe wie beengte Ortslagen, Straßen, Wege etc., welche das Austreiben erschweren, akzeptiert, werden zukünftig nur noch Witterungs- und jahreszeitliche Bedingungen sowie der Zustand des Bodens als Gründe anerkannt. Der aktuelle Stand der Auslegung lässt sich im LÖK-Weidepapier nachlesen. Fraglich bleibt immer noch, welche Mindestanforderungen für den Weidegang gelten (wie viele Quadratmeter, welche Tiergruppen, wie lange). Tanja Barbian empfiehlt den Halter:innen von Wiederkäuern in jedem Fall, ein betriebsindividuelles Weidekonzept mit dem Ziel der Weidemaximierung zu erstellen und dieses gegebenenfalls von der Kontrollstelle abnehmen zu lassen. Die Reise werde auf jeden Fall in Richtung mehr Weidepflicht gehen.
Geflügelhaltung: „Regelungs- und Auslegungswirrwarr
Überdies berichtete Tanja Barbian über die in der Geflügelhaltung laufenden Pilotverfahren gegen Deutschland. Zentrale Punkte hier: der Auslauf von Junggeflügel und die Definition der Produktionseinheit in der Mastgeflügelhaltung. Das Thema Junggeflügelauslauf wurde bereits geklärt (wenn auch nicht zufriedenstellend): Alle Ställe müssen von Anfang an Grünauslauf bereitstellen, auch wenn der Auslauf nicht genutzt wird. Für bestehende Ställe gibt es eine Übergangsfrist bis 31.12.2030. Bei neuen Ställen muss der Auslauf mit geplant werden. Bei der Definition der Produktionseinheit, welche massive Auswirkungen auf die Mastgeflügelbranche in Deutschland hat, ist eine Klärung durch die EU noch ausstehend. Es bleibt also abzuwarten, ob die von der Branche favorisierte bisherige Definition der Produktionseinheit als Stallgebäude aufrechterhalten werden kann oder ob die Produktionseinheit nun alle Ställe umschließt und somit deutlich weniger Tierzahlen pro Betrieb erlaubt wären. Hervorzuheben ist die Einschätzung von Tanja Barbian, dass die bürokratischen Lasten für Öko-Betriebe zunehmen und es einen „Regelungs- und Auslegungswirrwarr“ gibt. Problematisch sind aus ihrer Sicht vor allem das Fehlen einer zentralen Übersicht über Regeln und Auslegungen, immer neue Rechtsakte, sowie immer neue und unterschiedliche Detailauslegungen der Länder.
Internationale Auswirkungen auf bäuerliche Landwirtschaft
Nachdem Alissa Schick (Prüfgesellschaft mbH) über Neuerungen im Bereich Verarbeitung informiert hatte, referierte sie zusammen mit Martin Rombach (BVK) über Neuerungen im nationalen Bio-Recht.
Interessant: der Vortrag von Florentine Meinshausen (FIBL) zu den Auswirkungen der neuen Vorgaben zur Bio-Gruppenzertifizierung auf Kleinbauern und -bäuerinnen in Drittländern. Florentine Meinshausen arbeitete anschaulich heraus, wie kleine Änderungen in Verordnungstexten massive Auswirkungen auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft (Kaffee-, Kakao-, Bananenanbau …) in Entwicklungs- und Schwellenländern haben. So müssen rund 70 Prozent der Erzeugergruppen Änderungen in Gruppenzusammensetzung, Gruppengrößen, Rechtsformen etc. vornehmen, um weiterhin Bio-Produkte in die EU liefern zu können.
Einen großen Raum in der Veranstaltung nahm das seit Jahren kontrovers diskutierte Thema der Pestizidrückstände in Bio-Produkten ein. Albrecht Benzing von Demeter International bot in seinem Vortrag einen Überblick über den Umgang mit Pestizidrückständen in verschiedenen Bio-Standards weltweit. Auffallend war dabei, dass viele Länder (China, Amerika, Korea, Indien …) bereits Rückstandshöchstgrenzen für Bio-Produkte eingeführt haben. Dies führte in der Praxis allerdings nicht zu einer geringeren Pestizidbelastung von Bio-Produkten aus diesen Ländern.
Pestizidrückstände: Einteilung in drei Kategorien
AÖL-Geschäftsführer Alexander Beck berichtete über ein „Vade mecum“ zu amtlichen Untersuchungen in Bio-Produkten, welche etwa bei Rückstandsfunden eingeleitet werden können. Das Vade mecum soll als Leitfaden für die Durchführung von amtlichen Untersuchungen dienen. Damit soll ein einheitliches Vorgehen, dessen Intensität sich am Risiko für einen möglichen Verstoß gegen die Öko-VO orientiert, geschaffen werden. Dies ist auch eine Antwort auf die oft vorgebrachte Kritik, dass je nach Land, Bundesland oder Behörde unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wann und in welchem Umfang eine Untersuchung einzuleiten ist. Das Vade mecum beschreibt ein Verfahren, bei dem vorliegende Informationen zum Produkt, Prozess oder Unternehmen dazu dienen sollen, eine Feststellung (zum Beispiel ein Rückstandsfund) in drei Kategorien einzuteilen: niedriges, mittleres und hohes Risiko. Aufgrund der Einteilung wird dann über die Vorgehensweise in der amtlichen Untersuchung entschieden. Beispielsweise reicht bei einem niedrigen Risiko eine Dokumentenprüfung durch die zuständige Kontrollstelle ohne zusätzliche kurzfristige Vor-Ort-Kontrolle aus. Bei einem hohen Risiko (beispielsweise wenn das Unternehmen schon in der Vergangenheit negativ aufgefallen ist) muss eine rasche Vor-Ort-Kontrolle stattfinden.
Zum Thema Pestizidrückstände referierten Martin Rombach und Dr. Günter Lach über eine neue Herangehensweise im Umgang mit Rückstandsfunden. Sie schlugen vor, die untere analytische Bestimmungsgrenze aus der EU-VO 396/2005 als „Grenzwert“ für Bio-Produkte heranzuziehen, ab dem eine amtliche Untersuchung zwingend eingeleitet werden muss. Die Bestimmungsgrenze ist definitionsgemäß die niedrigste Konzentration eines Stoffs, die mithilfe von Standardtests sicher gemessen werden kann. Diese Bestimmungsgrenze kann von jedem einfach online über die EU-Pestizid-Datenbank eingesehen werden:
https://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/start/screen/mrls
In den Augen der beiden Referenten wäre dies deshalb ein einfaches, bereits etabliertes Verfahren, das ohne weitere Rechtsakte und Konsultationen übernommen werden könnte.
Summa summarum bleibt das Öko-Recht in Bewegung, und ich bin gespannt, was es vom nächstjährigen Fachtag zu berichten geben wird.